Digitale Deep-Sky Daten, visuelle Beobachtung und das NGC/IC Projekt
Der Text ist als Einführung in die genannten Themen gedacht und beschreibt auch einige meiner derzeitigen astronomischen Arbeits- und Interessensgebiete. Meine astronomische Biographie finden sie hier.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die Ursprünge des NGC/IC (weiteres zum Thema und Bilder finden Sie hier)
3 Photografische Durchmusterungen und moderne Kataloge
4 Datenbasen und Skyprogramme
5 Das NGC/IC Projekt
6 Gibt es noch etwas zu entdecken?
1 Einleitung
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die visuelle Beobachtung ein wesentliches Element der Fachastronomie, dann wurde der Astronom mehr und mehr vom Okular verbannt, an die Stelle des bloßen Auges traten diverse Detektoren. Später wurde ihm gar der Zugang zum Teleskop verwehrt. Bei großen Observatorien kümmert sich ein Operator um die Hardware, der Fremdastronom sitzt derweil im Nebenraum vor dem Monitor. Selbst der Berg und damit ein unvergleichlicher Himmel ruft nicht mehr - um Reisekosten zu sparen wird vom heimischen Institut via Internet „beobachtet".
Das Ganze hat nicht mehr viel mit jener Astronomie zu tun, die die meisten Berufsastronomen in ihrer Jugend begeistert hat. Eine Entwicklung, die manchen Profi mitunter neidisch auf die Amateure blicken läßt. Zunehmend entwickelt sich aber auch die Amateurastronomie in diese Richtung. Man kann per Computer Objekte auswählen, die das Teleskop selbständig aufsucht. Mit der CCD-Kamera lassen sich schnelle Bilder schießen, so dass der enorme Aufwand einer langbelichteten Aufnahme entfällt. Warum sollte man sich überhaupt in Kälte und Dunkelheit wagen, wenn doch per Internet oder auf CD-ROM alles an aktuellen Aufnahmen und Daten bequem zu haben ist? Die Digitaltechnik bringt zweifellos enorme Erleichterungen, man sollte dabei aber nicht den realen Himmel aus den Augen verlieren und zum bloßen Schreibtischtäter werden!
Welcher Reiz geht von digitalen Deep-Sky Daten aus und welche Bedeutung hat heute die visuelle Beobachtung? Beide Fragen möchte ich aus meiner persönlichen Sicht und langjährigen Erfahrung diskutieren. Die Inhalte hängen, wie ich meine, eng zusammen und beeinflussen sich auf faszinierende Weise, wie etwa im Fall des NGC/IC Projekts (siehe Kap. 5). Beispiele für diese Wechselwirkung finden sich auch in der Arbeit der VdS-Fachgruppe Deep-Sky. Ich denke da etwa an die Beobachtungen der Hickson- und Shakhbazian-Galaxiengruppen, an die komplette Galaxiendurchmusterung des Sternbild Leo Minor, mit genauen Positionen und Daten von 1379 Objekten, aber auch an das Projekt "Deep Sky Buch". Schließlich glaube ich, dass gerade das VdS Journal hervorragend geeignet ist, ein joint-venture zwischen Beobachtung und Computerastronomie zu fördern.
Die visuelle Beobachtung scheint mir bei weitem nicht überholt und ich sehe nach einer anfänglichen digitalen Euphorie heute eine gewisse Rückbesinnung auf „Astronomie pur", nicht zuletzt durch den enormen Erfolg der Dobson-Teleskope. Es macht einfach Spaß, unter freiem Himmel Objekte selbständig und mitunter mühsam aufzusuchen und deren oft schwaches Licht auf sich wirken zu lassen. Ich halte diesen direkten Kontakt, der auch dazu führt, dass man sich „am Himmel auskennt", für enorm wichtig. Ebenso wichtig ist, etwas über die Vorgeschichte der Beobachtungsobjekte und ihre Natur zu wissen. Der Computer kann bei der Auswahl und Identifizierung der Objekte ein nützliches Hilfsmittel sein. Es gibt hierzu gibt eine ganze Reihe von Programmen, sie enthalten Daten aus den klassischen und modernen Katalogen.
Im Bereich nichtstellarer Objekte ist der New General Catalogue (NGC) und der Index Catalogue (IC), mit insgesamt über 13000 nichtstellaren Objekten (siehe Kap. 2), nach wie vor die wichtigste Referenz. Selbst mit 10"-12" sind fast 6000 Objekte erreichbar, mit 12-14" schon ca. 9500 und mit 14-16" über 11000. Für das schwächste, die Zwerggalaxie IC 4107 mit 18,5m (photographisch entdeckt von Max Wolf), braucht man allerdings deutlich mehr als 20". Auch herausragende visuelle Beobachter wie etwa Steve Gottlieb in Kalifornien haben erst knapp die Hälfte geschafft. Doch schon hallt der Ruf nach mehr Objekten durch die Deep Sky Gilde. Ich interpretiere das eher als den Wunsch, noch ausgefallenere, weniger bekannte und damit meist schwächere Objekte zu beobachten. Nimmt man alle NGC/IC Objekte zusammen, so ergibt sich ein mittlerer Abstand von etwa 60'. Wem das noch nicht reicht, dem stehen eine Menge weiterer Kataloge (s. Kap. 3) zur Verfügung. Nimmt man etwa den Catalogue of Principal Galaxies (PGC) von 1996 mit seinen ca. 100000 Galaxien, so bekommt man schon alle 26' ein neues Objekt ins Rohr - vorausgesetzt die Öffnung stimmt. Faßt man alle bekannten Kataloge zusammen, so kommt man auf 18'.
Welche Qualität haben die Deep Sky Daten und mit ihnen die gängigen Skyprogramme? Sie sollen den realen Himmel widerspiegeln, aber bei feinerer Betrachtung zeigen sich deutliche Schwächen. Die Beobachtung bekommt dann einen neuen Wert. Sie ist geeignet, mehr Ordnung in die Datenwelt zu bringen. Doch gehen wir zunächst zurück zum Ende des 19. Jahrhunderts...
2 Die Ursprünge des NGC/IC (weiteres zum Thema und Bilder finden Sie hier)
Es waren visuelle Beobachtungen von Amateur- oder halbprofessionellen Astronomen, die zum Ende des 19. Jahrhunderts zu bedeutenden Fortschritten in der Astronomie führten. So errichtete William Parson, der dritte Earl of Rosse, 1845 auf Birr Castle, Irland seinen 72" Reflektor. Der „Leviathan von Parsonstown" (Abb. 1) wurde erst mit der Inbetriebnahme des 100" Hooker-Teleskops auf dem Mount Wilson im Jahre 1918 übertroffen. Lord Rosse und sein Sohn (der vierte Earl of Rosse) sowie der dänische Astronom Johann Louis Emil Dreyer, der 1874 nach Irland gekommen war, verbrachten viele Jahre damit, die damals bekannten „Nebel" zu beobachten und sie entdeckten dabei immer neue Objekte [1].
Abb. 1 - Lord Rosse's 72" Reflektor auf Birr Castle (Foto Harold Corwin).
Bei diesen Beobachtungen wurde Dreyer klar, dass John Herschel's General Catalogue of Star Clusters and Nebulae von 1864 aufgrund der vielen Neuentdeckungen überarbeitet und ergänzt werden mußte. Die Aufstellung von Beobachtungslisten oder einfach die Frage, ob ein Objekt bereits von einem anderen Beobachter gefunden worden war, erwies sich als sehr zeitaufwendig. Die Royal Astronomical Society beauftragte Dreyer daraufhin, einen „New General Catalogue" zusammenzustellen. Er fügte ca. 2000 Objekte aus Listen diverser Beobachter hinzu und sortierte die Daten nach Rektaszension für das Äquinoktium 1860. Das Ergebnis, der NGC, wurde 1888 publiziert (Dreyer war zu dieser Zeit Direktor des Armagh Observatoriums nahe Belfast) und enthält 7840 nichtstellare Objekte. Die Arbeit am NGC stellte Dreyer vor die schwierige Aufgabe, die Notizen der diversen Beobachter zu bewerten und zu vergleichen. Die meisten Probleme resultierten aus den Positionsangaben und Objektbeschreibungen, denn die benutzten Teleskope reichten von 2" bis 72" und die Qualität der Beobachtungen reichte von „schlampig" bis „exzellent". Aufgrund der enormen Anzahl der Objekte konnte er nur wenige Fälle überprüfen, vieles mußte er einfach akzeptieren. Glücksicherweise hatte Dreyer ein gutes Gefühl dafür, wessen Beobachtungen verlässlich waren und wessen nicht und er war überdies ein sehr sorgfältiger Mensch - nur wenige Fehler entstanden bei der Übertragung von Beobachtungsdaten. Dabei kam am häufigsten vor, dass er die Präzession mit dem falschen Vorzeichen der Deklination anbrachte.
Die Flut neuer Beobachtungen veranlaßte Dreyer, den NGC zweimal zu ergänzen. Der Index Catalogue(IC I) von 1895 enthält 1520 nichtstellare Objekte und der Second Index Catalogue (IC II) von 1908 listet weitere 3866 auf, beide werden heute als IC zusammengefaßt. Alles in allem ist der NGC/IC ein Kompendium des „Guten" und des „weniger Guten", z.B. erwiesen sich ca. 1000 Einträge später als Sterne. Kurioserweise sind auch helle Sterne vertreten, wie etwa Alpha CVn = NGC 4530 (der Grund hierfür ist aber, dass John Herschel einen umgebenden Nebel gesehen haben will, was sich nicht bestätigte). Dreyer publizierte lange Korrekturlisten von Fehlern, die er oder andere Beobachter mit der Zeit gefunden hatten. Sein Verdienst ist auch, für jedes Objekt genaue Quellenangaben gemacht zu haben. Kurioserweiser greifen die meisten späteren Versuche, den NGC/IC zu revidieren nicht auf diese Quellen zurück! Man ging nach der Devise vor: befindet sich ein nichtstellares Objekt in der Nähe der Katalogposition, dann wird es schon das richtige Objekt sein, falls nicht, dann existiert es eben nicht (ich werde dazu später einige Beispiele bringen). Wesentlich gewissenhafter ging Guillaume Bigourdan (Abb. 2) vor, einer der letzten visuell beobachtenden Fachastronomen. Die Leistung dieses bemerkenswerten Mannes, der am Observatorium in Paris arbeitete, ist heute wenig bekannt und noch weniger anerkannt: die visuelle mikrometrische Vermessung von mehr als 6600 NGC/IC Objekten! Er begann damit bereits 1884 und veröffentlichte seine Ergebnisse 1919 in einen 5-bändigen monumentalen Werk, für das er die Goldmedaille der Royal Astronomical Society erhielt. Die Vollständigkeit und Genauigkeit seiner Beobachtungen war für die spätere Identifikation vieler Objekte von großem Wert.
Abb. 2 - Guillaume Bigourdan (1851-1932), einer der letzten visuell beobachtenden Fachastronomen.
3 Photografische Durchmusterungen und moderne Kataloge
Während Bigourdan noch visuell beobachtete, war die Astrophotographie massiv im Vormarsch. Der Second Index Catalogue enthält bereits einige tausend Objekte, meist Galaxien, die auf Platten entdeckt wurden. Pionierarbeit hat hierbei vor allem Max Wolf in Heidelberg geleistet. Der IC II ist dadurch besonders inhomogen: dort, wo Photographien nach neuen Nebeln durchmustert wurden zeigen sich deutlich "cluster" (Abb. 3). Die Häufung von Objekten in diesen Feldern ist aber nicht real - wie etwa im Bereich des Virgo- oder Coma-Haufens - sondern lediglich ein Auswahleffekt. Reinmuth führte die Arbeiten auf dem Heidelberger Königstuhl fort und veröffentlichte 1926 eine komplette photografische Bestandsaufnahme der nördlichen "Herschel Nebel". Dies führte, ebenso wie die Arbeit von Dorothy Carlson am Mt. Wilson Observatorium aus dem Jahr 1940, zu weiteren Korrekturen am NGC/IC, ohne dass es allerdings zu einer Neuauflage kam.
Abb. 3 - Plot aller NGC/IC Objekte. An einigen Stellen werden durch photografische Durchmusterungen „cluster" vorgetäuscht.
Was wirklich am Himmel los ist, sollte sich erst mit der Fertigstellung des ersten Palomar Observatory Sky Survey (POSS) zeigen. Es war der Startschuß für eine systematische Durchmusterung nach unterschiedlichen Objektklassen. George Abell ging bereits 1958 auf die Suche nach Galaxienhaufen, er fand schließlich 2712. Vorontsov-Velyaminov wie auch Fritz Zwicky durchmusterten den POSS nach Galaxien. Vorontsov-Velyaminov und seine Mitarbeiter veröffentlichten zwischen 1962 und 1974 die Daten von 29981 Galaxien im Morphological Catalogue of Galaxies (MCG). Zwicky und seine Mitarbeiter listeten zwischen 1963 und 1968 insgesamt 29378 Galaxien sowie 9133 Galaxienhaufen im Catalogue of Galaxies and of Clusters of Galaxies (CGCG) auf. Zwicky sprach später davon, dass er (Haufenmitglieder mitgerechnet) mehr als 1,5 Millionen Galaxien auf den POSS Platten identifiziert hat. Nilson's Uppsala General Catalogue (UGC) von 1973 war erstmals ein klar definierter Galaxienkatalog. Er enthält alle Objekte heller als 14,5m oder größer als 1' (insgesamt 12940). Keiner dieser Kataloge befaßte sich primär mit der historischen Identifikation der Galaxien. Es wurde meist auf die unkorrigierten Originalversionen des NGC/IC Bezug genommen. Allein Nilson korrigierte, allerdings wenig systematisch, einige Fehler, die sich in den MCG oder CGCG eingeschlichen hatten. Im Anhang des UGC gibt er einen interessanten Überblick zur Geschichte der Galaxienkataloge [2].
Das Problem bei großen Datenmengen, insbesondere bei der analogen Verarbeitung, ist stets das gleiche: es gibt interne Datenfehler, Übertragungsfehler aus externen Quellen und Unstimmigkeiten bei der gegenseitigen Referenzierung („cross identification"), also der Frage nach der Identität von Objekten. Da der POSS aus vielen Einzelblättern besteht, die sich überlagern, kommt es häufig zu Doppeleinträgen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Galaxie IC 1502 im Cepheus. Sie liegt in zwei überlappenden Deklinationszonen des MCG (+12 und +13) bzw. in zwei Feldern des CGCG (344 und 359) und ist in beiden Katalogen jeweils doppelt vertreten. Überdies kommt sie auch zweimal im UGC vor, was schließlich zu folgender Kette führt: IC1502 = MCG +12-1-1 = MCG +13-1-2 = CGCG 344-3 = CGCG 359-5 = UGC 12105 = UGC 12706. Der doppelte Eintrag im UGC beruht wahrscheinlich auf einem Schreibfehler: UGC 12105 hat AR=22 34.1 (an dieser Position ist keine Galaxie) und UGC 12706 hat AR=23 34.1 (hier liegt IC 1502). Im CGCG gibt es sogar Galaxien mit drei verschiedenen Nummern, z.B. NGC 1544 = CGCG 361-11 = CGCG 362-4 = CGCG 370-1A (mit A wird eines der beiden polnahen Felder bezeichnet). Daraus folgt, daß die Anzahl der Galaxien geringer ist, als die Anzahl der Katalogeinträge. Im Fall des CGCG gibt es über 3000 Identitäten!
Der erste Katalog mit dem Ziel, den NGC zu aktualisieren, war der Revised New General Catalogue (RNGC) von Sulentic und Tifft aus dem Jahr 1973. Der Versuch, dem betagten Werk mit Hilfe des POSS moderne Positionen und Daten zu verpassen, schlug kräftig fehl, vor allem aufgrund des großen Zeitdrucks, unter dem die Autoren standen. Nicht nur, dass die bereits publizierten Korrekturen ignoriert wurden, es schlichen sich auch eine ganze Reihe neuer Fehler ein. Oft wurde dort, wo aufgrund einer falschen Position kein Objekt zu finden war, eine NGC-Nummern willkürlich an das hellste benachbarte „anonyme" Objekt vergeben, ohne die Originaldaten bzw. die bekannten Korrekturen zu konsultieren - auch haben nun einige Plattenfehler eine RNGC-Nummer. Die geringe Bedeutung des RNGC liegt vielleicht auch am unglücklich gewählten Äquinoktium 1975, als Kompromiss zwischen 1950 und 2000 gedacht. Ein krasses Beispiel für einen Fehler im RNGC ist der Fall des "Copeland Septett" (Abb. 4), bestehend aus NGC 3745, 3746, 3748, 3750, 3751, 3753, and 3754. Dreyer hat Copeland's Referenzstar, von diesem als "rötlich" bezeichnet, falsch gedeutet. Dadurch ergaben sich falsche absolute Positionen der Einzelgalaxien. Dreyer hat den Fehler im NGC später bemerkt und in den Notizen zum IC I finden sich die Korrekturen. Der RNGC listet alle Galaxien (bis auf NGC 3746) als "nonexistent", weil Dreyer's Notiz nicht berücksichtigt wurde. Interessant ist auch, dass im UGC die Koordinaten und Helligkeit für NGC 3751= UGC 6601 falsch sind. Die Bezeichnung "Copeland Septett" stammt übrigens von deVaucouleurs und ist erstmals im Second Reference Catalogue of Bright Galaxies (RC2) von 1976 enthalten.
1982 war auch der Südhimmel komplett durchmustert. Basierend auf den Aufnahmen des 1m Schmidt Teleskops der ESO auf La Silla nahm Andris Lauberts u.a. alle NGC/IC Objekte südlich von -17,5° Deklination unter die Lupe. Insgesamt enthält der ESO/Uppsala Survey of the ESO(B) Atlas 18438 Objekte.
Roger Sinnott publizierte 1988 erstmals eine Neubearbeitung des kompletten NGC/IC. Sein NGC 2000.0 erschien rechtzeitig zum 100. Jubiläum des NGC. Ein Werk, das leider ebenso unter Zeitdruck stand wie der RNGC. Hier wurden die Originalbeobachtungen zugunsten moderner Daten (CGCG, MCG etc.) ignoriert. Da diese Kataloge keine verläßliche Quelle für den NGC/IC darstellen, finden sich viele Fehler wieder. Trotz der fehlenden Strenge und auch wegen des Äquinoktiums 2000, war dieses Werk aber erfolgreicher als der RNGC.
Abb. 4 - Das Copeland Septett = Arp 320 ist im RNGC "nicht existent" (die POSS II Aufnahme enthält eine Satellitenspur).
4 Datenbasen und Skyprogramme
Im Unterschied zu den modernen Katalogen gibt es Datenbasen, die Kompendien verschiedenster Quellen darstellen (nichts anderes hat auch Dreyer gemacht). Hierzu zählen z.B. die Lyon/Meudon Extragalactic Database (LEDA), die NASA/IPAC Extragalactic Database (NED), die Arizona Database und mein CAT2000 (siehe Kap. 5).
Der PGC ist ein LEDA-Produkt. Die Version von 1989 enthält 73177 Galaxien, das Update von 1996 bereits 100872 Galaxien. In einer neuesten (unveröffentlichten) Version sind über 160000 Galaxien verzeichnet. Der Urheber dieses Projekts ist Georges Paturel (Universität Lyon). Der PGC enthält, dem Umfang entsprechend, viele Daten- und Identifikationsfehler. Rätselhaft sind auch die als "genau" markierten Positionen, von denen viele um mehr als 1' von der Realität abweichen. Bei den NGC/IC Objekten bevorzugt Paturel seine eigenen Interpretationen und weniger die historischen Quellen. Kurios sind auch Positionswinkelfehler: bei vielen PGC Galaxien (solche die nur im MCG vorkommen) muß der Winkel an der 90° Achse (Osten) gespiegelt werden, z.B. gibt der PGC für NGC 4626 einen Wert von 145°, korrekt ist aber 35°.
Wie wichtig ist das Problem der ungenauen Daten? Man muß deutlich zwischen dem Himmel, wie er visuell oder auf Aufnahmen z.B. dem POSS zu sehen ist und den Angaben in Katalogen unterscheiden. Die meisten Probleme zeigen sich wenn man beides digital überlagert. Beim digitalisierten POSS, dem Digital Sky Survey (DSS) handelt es sich um Rasterdaten, die den Himmel flächendeckend in hoher Auflösung wiedergeben. Man kann aber einzelne Objekte nicht "anklicken", sie bleiben allesamt anonyme Anhäufungen von Pixeln. Digitale Kataloge sind dagegen, mit diversen Attributen versehene Vektordaten. Enthalten sie fehlerhafte Daten, so geben alle Folgeprodukte, die diese ungeprüft übernehmen, den Himmel nicht korrekt wieder. Beispiele hierfür finden sich in großer Zahl in den populären Skyprogrammen wie etwa The Sky, Megastar oder Guide. So wird auch im Guide 7.0 (auf den ich mich im Folgenden aus Platzgründen beschränken möchte) die Galaxie NGC 4626 mit dem falschen Positionswinkel dargestellt. Bei Megastar bemüht sich Larry Mitchel (Houston) seit Jahren um die Verbesserung der Datenqualität. Mit diesen Programmen ist es heute möglich, Vektor- und Rasterdaten (z.B. aus RealSky, einer komprimierten Version des DSS) zu überlagen. Die Übereinstimmung ist mitunter wenig berauschend, sie reicht aber i.a. für Amateurverhältnisse aus und ich möchte die großen Vorzüge dieser Programme hier auch nicht schmälern.
Betrachten wir etwa das Beispiel von VV 607 (Abb. 5), ein Objekt aus Vorontsov-Velyaminov's Atlas of Interacting Galaxies, Part II. Guide übernimmt die Identifikation des PGC: PGC 49152 = VV 607 = MCG 6-30-103. Zwei weitere Galaxien werden im Guide dargestellt: PGC 49151 = MCG 7-28-81 und NGC 5325 = PGC 49163 = MCG 7-28-30. Wie man unschwer auf der in Vorontsov-Velyaminov's Atlas enthaltenen POSS-Aufnahme erkennen kann, ist VV 607 = NGC 5325. Überdies stellt sich heraus, dass PGC 49151 nicht existiert, denn es gibt nur 2 Galaxien im Feld und es ist PGC 49152 = MCG 6-30-103 = MCG 7-28-81 = NGC 5325B. Auslöser ist wohl ein Fehler im MCG, verursacht durch überlappende POSS-Karten. Was passiert, wenn man Kataloge zusammenmixt, zeigt das Beispiel von NGC 842 und Mrk 1023. Laut PGC und Guide ist NGC 842 = Mrk 1023 = MCG -1-6-55 = KUG 0207-080. Abgesehen davon, dass die als „genau" markierte Position im PGC über 1' danebenliegt, ist Mrk 1023 = KUG 0207-080 ein vollkommen separates Objekt ca. 1,5' SSW von NGC 842 (Abb. 6). Das Paar erinnert an NGC 4319 / Mrk 205.
Abb. 5 - Die Galaxie NGC 5325 = VV 607 und ihre Umgebung auf dem POSS (die Aufnahme enthält einen Plattenfehler) und im Guide.
Abb. 6 - Die kompakte Galaxie Mrk 1023 bei NGC 842.
NED wird mehr und mehr zur wichtigsten Datenbasis extragalaktischer Objekte. Verantwortlich für die hohe Qualität (das Beispiel aus Abb. 6 ist korrekt enthalten) ist hauptsächlich Harold Corwin, er ist z.B. auch Co-Autor des RC2 und RC3 (Third Reference Catalogue of Bright Galaxies) sowie des Southern Galaxy Catalogue (SGC). Ziel aller Datenbasen ist letztlich, den Himmel korrekt als Vektordaten abzubilden. Für den NGC/IC ist dieses Ziel jetzt, dank der Arbeit des NGC/IC Projekts (Kap. 5), weitgehend erreicht.
5 Das NGC/IC Projekt
Der wichtigste Grund, den NGC/IC von seinen Fehlern zu befreien ist, dass er nach wie vor als wichtigste Namensquelle für nichtstellare Objekte gilt, sowohl im Profi- wie im Amateurbereich. Die meisten der hellsten, größten, nächsten und damit auch interessantesten Objekte sind im NGC/IC enthalten (Ausnahme M 45). Es ist eine astronomische Tradition, diese nach ihrer NGC/IC Bezeichnung zu benennen. Daher ist es sinnvoll, sicherzugehen, dass die verwendete Bezeichnung auch wirklich zum historischen Objekt gehört. Viele Personen, die an der Entdeckung und Beobachtung der Nebel beteiligt waren, gehörten zu den herausragendsten Astronomen ihrer Zeit. Es ist eine Frage der historischen Wahrheit, wichtige Entdeckungen korrekt zuzuordnen, andernfalls kann dies die Entwicklung der Astronomie selbst beeinflussen. Dafür gibt es in der Wissenschaft viele Beispiele.
Seit Mitte der 70er Jahre beschäftige ich mich mit Daten von Deep Sky Objekten, womit hauptsächlich Galaxien, Sternhaufen und Nebel, aber auch Quasare gemeint sind. Ausgangspunkt war die Planung visueller Beobachtungsprogramme sowie die Analyse der Ergebnisse. Frühe Ergebnisse dieser Arbeit sind der Katalog der Galaxiengruppen (KDG), der Katalog heller Quasare und BL Lacertae-Objekte (KHQ). Bei der Bearbeitung der Daten sind mir immer wieder Fehler oder Lücken in diversen Katalogen aufgefallen. Insbesondere der IC war absolutes Brachland. 1982 entstand, noch ohne Computer, ein erster "Revidierter Index Katalog" mit Hilfe von Dixon's monumentaler Master List [3]. Ab 1987 besorgte ich mir per Magnetband die wichtigsten Kataloge vom Centre du Donnees Stellaires (CDS) und bastelte daraus eine eigene Datenbasis, immer bemüht, Fehler zu finden und zu korrigieren. Dazu werden die Daten allen möglichen Tests unterworfen. Auf diese Weise entstand die Datenbasis CAT2000. Sie enthält mittlerweise ca. 150000 nichtstellare Objekte nördlich von -30° Deklination, die mit einer eigenen Software dargestellt werden. Das Programm erwies sich als sehr hilfreich bei der Analyse der NGC/IC Probleme. Ein vollständiger "Revidierter NGC/IC" wurde 1997 fertig. Er enthält alle verfügbaren Daten und Identifizierungen. Bei Galaxien, immerhin fast 80% aller Objekte, wurden Datenlücken (fehlende Helligkeiten, Größen und Positionswinkel) mit Hilfe der Internetversion des DSS geschlossen.
Bis zu diesem Zeitpunkt war das Ganze eine Arbeit im „stillen Kämmerlein", doch das änderte sich grundlegend, als ich durch Zufall Anfang 1997 in einen Artikel auf das NGC/IC Projekt gestoßen bin [4]. Hier haben sich Amateur- und Fachastronomen aus aller Welt zusammengefunden, die das gleiche Ziel verfolgen wie ich: die Standardreferenz der nichtstellaren Objekte zu säubern. Die Leitung hat Harold Corwin (California Institute of Technology/IPAC), einer der führenden Experten für Deep Sky Daten. Seit dieser Zeit bin ich (das einzige europäische) Mitglied des Teams. Ebenso zum harten Kern gehören Brian Skiff (Lowell Observatorium), Steve Gottlieb und Malcom Thomson (beide aus Kalifornien), Bob Erdmann (Arizona Database) und Brent Archinal (USNO). Wie auf den Webseiten des Projekts zu sehen ist, wurden bereits eine Fülle von neuen Erkenntnissen gewonnen und etliche „puzzles" gelöst. Grundlagen hierfür sind: die historischen Quellen (Beobachtungsnotizen), vorhandene Kataloge sowie der POSS - aber auch die visuelle Beobachtung. Hierbei ist Steve Gottlieb sehr erfolgreich. Sein 17,5" Dobson ist groß genug, um nahezu alle NGC/IC Objekte beobachten zu können aber andererseits klein genug, dass seine Eindrücke denen der Beobachter des 19. Jahrhunderts entsprechen.
Der POSS ist bei der Problemlösung nicht immer hilfreich, denn er zeigt die meisten Galaxien schwächer als sie visuell erscheinen! Das liegt an ihrer unterschiedlichen Helligkeit im blauen bzw. visuellen Bereich. Der B-V Wert liegt bei Galaxien zwischen 0,5m und 1,1m - sie sind also visuell z.T. deutlich heller. Ein Beispiel ist der Fall von IC 256 und IC 257 im Perseus (Abb. 7). Beide Objekte wurden 1893 von Swift mit einem 16" Refraktor entdeckt. Unstrittig ist IC 257 = UGC 2298, mit 13,1m leicht sehen. Etwas Verwirrung besteht dagegen über IC 256 (inkorrekt im MCG als MCG +8-6-11, dies ist IC 257). Ebenso verwirrend ist die Darstellung im Guide. Die Analyse zeigt, dass dieses Objekt mit der mittleren Galaxie in einer Dreiergruppe übereinstimmt, die Zwicky als V Zw 280 bezeichnet hat (Objekte A, B und C in Abb. 7). Interessant ist, dass er die Helligkeiten mit 17,7m, 17,9m und 18,1m angibt. Dies war für Swift deutlich zu schwach. Steve Gottlieb und ich haben das Feld im 16" Dobson überprüft und konnten die mittlere Galaxie eindeutig sehen, geschätzte Helligkeit ca. 15,6 m! Hier beträgt also die Differenz B-V mehr als 2 Größenklassen!
Mittlerweile ist die neueste Version meines Revised New General Catalogue and Index Catalogue (Januar 2000) verfügbar. Der Katalog enthält 13982 Einträge, darunter sämtliche NGC/IC Objekte sowie weitere Umgebungsobjekte (A, B,...) und Komponenten. Ich habe die Positionen von 12618 Objekten mit RealSky bzw. der 102 CD-ROM Version des DSS auf 1-2" genau vermessen (Rest: Offene Sternhaufen, Galaktische Nebel). Außerdem wurden Fehler der früheren Version korrigiert und die "cross-identifications" aktualisiert (insgesamt 42985 aus 71 verschiedenen Katalogen). Der Katalog ist jetzt in maximaler Übereinstimmung mit den Ergebnissen der anderen Projektmitglieder. Es verbleiben noch 527 "nicht gefundene" Objekte (2,7%). Das Ergebnis wurde eingehend mit dem aktuellen PGC verglichen und es zeigten sich z.B. über 800 falsche Identifikationen - im PGC! Darüber hinaus gibt es über 700 NGC/IC Galaxien, die nicht im PGC verzeichnet sind!
Abb. 7 - Die Galaxien IC 256 und IC 257 (Objekt B) auf dem POSS und im Guide.
Noch einige Beispiele interessanter Fälle. IC 252 im Walfisch. Das Objekt ist bei Sinnott nicht identifiziert, er gibt nur die nominelle Position an. Tatsächlich handelt es sich um eine 15,5m helle Doppelgalaxie. Gibt man das Objekt im Guide ein, so wird PGC 144971 angezeigt, ohne Referenz auf IC 252. Paturel hat die Identität offenbar nicht erkannt und der Guide kennt zwar die Position von IC 252, behandelt das Objekt aber als „nicht existent" und zeigt es daher nicht an. Wie es der „Zufall" will, befindet sich aber hier die PGC Galaxie! IC 5126 im Wassermann (Abb. 8), beobachtet von Javelle mit dem 30" Refraktor in Nizza: Sinnott gibt auch hier nur die nominelle (leider falsche) Position an. Die IC Beschreibung „vF, vS, R, between 2 st 14" sagt aus, dass das Objekt sehr schwach, klein und rund ist und zwischen zwei 14m Sternen liegt. An Javelle's Position ist aber nichts zu sehen. Die Analyse zeigt, dass er einen Fehler bei seinem Referenzstern gemacht hat. Nach der Korrektur landet man 1° weiter südlich bei einer 15,7m hellen Sb Galaxie, die in keinem anderen Katalog verzeichnet ist. Gibt man IC 5126 im Guide ein, so führt dies zur nominellen Position (wo auch hier nichts zu sehen ist), gibt man die korrekte Position ein, so zeigt sich immerhin ein „non star" aus dem Guide Star Catalogue (GSC).
Abb. 8 - An der nominellen Position von IC 5126 (links, markiert) befindet sich kein Objekt, IC 5126 ist eine Galaxie ca. 1° südlich, zwischen zwei Sternen gelegen (rechts).
Interessant ist auch der Fall von NGC 3110 = NGC 3122 = NGC 3518 = MCG -1-26-14, dies ist die hellere Galaxie im Paar mit MCG -1-26-13 (Abb. 9). NGC 3122 ist eine zweite Beobachtung von NGC 3110 (entdeckt von Stephan) durch William Herschel. Er verwechselte die Referenzsterne, was zu unterschiedlichen Koordinaten im NGC führte, wie Stephan und auch Dreyer später feststellten. NGC 3518 wurde von Stone entdeckt. Er machte eine Skizze auf der ein Doppelnebel zu sehen ist, zu dem er notiert: "in same field with a nebula discovered by Stephan". Im Umkreis von 5° liegt aber weder eines von Stephan's Objekten noch gibt es einen Doppelnebel. Die Untersuchung des Falles zeigt, dass ihm ein Schreibfehler unterlief, seine Rektaszension ist genau um 1h zu groß! Der Guide, der sich auf den PGC stützt, gibt ein chaotisches Bild, eigentlich noch schlimmer als die Situation im NGC. Zunächst wird NGC 3110 richtig dargestellt. Im PGC fehlt aber der Hinweis auf die anderen NGC Nummern, allein die Angaben des Saguaro Astronomy Clubs (SAC) verweisen zaghaft auf NGC 3122. Die Eingabe von NGC 3122 führt einen zu PGC 29361, eine Galaxie mit 18,7m (!), etwa ein halbes Grad östlich von NGC 3110. Sie liegt 2' südlich von Herschel's Position. Was sich Paturel bei dieser Identifikation gedacht hat, ist klar: er hat schlicht den RNGC Kandidaten übernommen. Sieht man einmal davon ab, dass die Position falsch ist, so wurde völlig ignoriert, dass Herschel mit seinem Teleskop niemals in der Lage war, dieses Objekt zu sehen, er beschrieb es überdies als "easily resolvable"! Bei NGC 3518 ist genau dasselbe passiert. Der RNGC Kandidat (PGC 33442) liegt an der falschen Position (1h östlich) und ist mit 17,7m viel zu schwach für Stone. Nebenbei bemerkt weicht die PGC Position dieses Objekts um etwa 1' von der POSS Position ab, immerhin noch deutlich besser als die RNGC Position, die 3' danebenliegt.
Abb. 9 - Das Galaxienpaar NGC 3110 = NGC 3122 = NGC 3518 und MCG -1-26-13.
Auf die interessante Story des Objekts mit den meisten NGC/IC Nummern, NGC 3497 = NGC 3525 = NGC 3528 = IC 2624, eine Galaxie im Sternbild Becher, möchte ich hier aus Platzgründen verzichten. Aus dem bislang Gesagten wird deutlich, dass die heute in Umlauf befindlichen Skyprogramme in Puncto Qualität der Deep Sky Daten, mit Vorsicht zu genießen sind. Dem visuellen Beobachter macht besonders das Problem der ungenauen Positionen zu schaffen. Bei schwachen, kleinen Objekten (Galaxien, Quasare, Planetarische Nebel) hat man nur Erfolg, wenn man an der richtigen Stelle sucht. Abgesehen davon ist aber unbestritten, dass die Skyprogramme durch die vielfältigen Möglichkeiten die sie bieten, für die Beobachtung wie auch für die Photographie sehr hilfreiche Tools sind. Jeder Amateur, ob ambitioniert oder nicht, findet damit sicher seinen Himmel.
6 Gibt es noch etwas zu entdecken?
Der wahre Himmel ist wesentlich reicher als der digitale. Es gibt noch genügend anonyme Objekte, die es zu entdecken gilt. Gerade größere Dobson Teleskope und der Umstand, dass viele Galaxien visuell heller sind, als sie auf dem POSS erscheinen, sollte die Beobachter anspornen. Vieles ist noch nicht verzeichnet, falsch identifiziert oder die Daten stimmen nicht. Es ist eine reizvolle Aufgabe, durch Beobachtungen Neuland zu betreten.
Ein Beispiel ist die "Entdeckung" von 6 anonymen Galaxien in der NGC 999-Gruppe durch Klaus Spruck und Frank Leiter (Heuchelheim) [5]. Ich habe später untersucht [6], warum die bis zu 15,5m hellen Galaxien nicht von NGC/IC Beobachtern (in diesem Fall Stephan) entdeckt worden sind und ob sie wirklich noch nicht katalogisiert wurden (im Guide sind sie jedenfalls nicht enthalten). Stephan hätte einige von ihnen 1876 mit seinem 80cm Reflektor sehen müssen. Vielleicht war die Nacht schlecht oder der Spiegel war angelaufen. Eine weitere Beobachtung des Feldes erfolgte 1891 durch Bigourdan mit dem Pariser 30cm Refraktor. Er entdeckte IC 240, ein Objekt, das sich später (NGC/IC Projekt) als eine Kette von 4 schwachen Sternen herausstellte. Allein Nilson erwähnt drei der "Heuchelheimer" in den Notizen zum UGC, wobei seine Angaben wiederum einen Schreibfehler enthalten.
Ein weiteres interessantes Betätigungsfeld ist die Beobachtung von variablen extragalaktischen Objekten. Darunter fallen viele Quasare und BL Lacertae Objekte, über die ich bereits ausführlich berichtet habe, aber auch aktive Galaxien [7]. Ich finde es stets spannend, etwas über den physikalischen und historischen Hintergrund der Beobachtungsobjekte zu wissen. Erst dann spürt man das gewisse "Kribbeln", z.B. wenn man sich vorstellt, wie im Quasar ein gigantisches Schwarzes Loch in kosmischer Entfernung zuckt und welche Mühe die irdischen Astronomen mit dessen Beschreibung haben. Da wird man für das oft magere Licht weitgehend entschädigt. Ich habe gerade eine Arbeit über extragalaktische Objekte, die zunächst als veränderliche Sterne registriert wurden, fertiggestellt. Bei meiner Recherche kamen 21 Fälle zutage, deren Entdeckungsgeschichte, physikalische Parameter und Aufsuchekarten ich zusammengestellt habe [8]. Viele dieser Objekte sind auch visuell oder per CCD erreichbar und es ist wie so oft: die Fachastronomie ist mit der Überwachung sämtlicher interessanter Objekte überfordert und die Amateure können hier einspringen. Ein Beispiel ist V362 Vul, entdeckt von Takalo und Noussek als „veränderlicher Stern" mit einem Lichtwechsel zwischen 16,0m und 17,7m. Das Objekt ist identisch mit der Einstein-Röntgenquelle E 2200+223, es erscheint als diffuses Objekt auf dem POSS (Abb. 10). Shara stellte 1990 eine Rotverschiebung von z=0.029 fest, was einer Entfernung von 427 Mill. Lj entspricht. Das heute als "starburst galaxy" klassifizierte Objekt ist übrigens nicht im PGC enthalten.
Abb. 10 - V362 Vul, eine "starbust galaxy", die zunächst als veränderlicher Stern katalogisiert wurde.
Ähnlich wie diesen veränderlichen „Sternen" erging es auch anderen Objekten: es stellte sich heraus, dass der zunächst angenommene Typ falsch war. Beispiele sind der „planetarische Nebel" Abell 76, in Wirklichkeit eine ungewöhnliche Ringgalaxie, oder die „Galaxie" UGC 7731 = PGC 41662 = IC 3568, in Wirklichkeit ein Planetarischer Nebel. Interessant ist auch die Galaxie ESO 557-G6, die als GN 6.32.9 im Atlas der Galaktischen Nebel von Neckel und Vehrenberg vorkommt (es gibt dazu noch weitere Beispiele). Im Guide liegen beide Objekte 1' auseinander, die Identität wird nicht erwähnt!
Wem das noch nicht exotisch genug ist: es gibt ein weites Feld kaum bekannter Objekte aus Zwicky's Katalog kompakter und eruptiver Galaxien [9]. Er enthält über 3500 Einträge, darunter viele wechselwirkende Systeme, Ringgalaxien etc. (s. Beispiele in Abb. 11). Das Werk liegt bislang nicht digital vor und ist auch, was die Daten angeht, recht ungenau und lückenhaft. Ich arbeite momentan an einer Revision, die Daten werden später in NED erscheinen. Daneben beschäftige ich mich auch mit der Katalogisierung und Beobachtung von Ringgalaxien (ein Beispiel findet sich in Abb. 11, ganz rechts), ein Projekt was ich bereits vor Jahren begonnen, aber leider immer wieder unterbrochen habe.
Abb. 11 - Beispiele für Objekte aus Zwicky's Katalog kompakter und eruptiver Galaxien. Von links: 8Zw 20 ("double wing"), II Zw 99 (einer der seltenen Fälle eines äquidistanten Tripletts), 8Zw 388 ("Halskette"), 8Zw 306 ("Ufo") und die Ringgalaxie II Zw 28 (Daten und weitere Beispiele finden Sie hier).
Der POSS und seine Nachfolger werden derzeit intensiv digital bearbeitet. Ziel ist, mit automatischen Verfahren möglichst viele Objekte zu finden und zu klassifizieren. Dieses „Automatic Plate Measuring" liefert Unmengen an Daten. Ein frühes Beispiel ist der GSC, in dem bereits nichtstellare Objekte als „non star" gekennzeichnet sind, einige haben wir bereits kennen gelernt. Neueren Datums sind NPM1G, NGP9, APM und UZC, auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte. Die Daten haben eine hohe Positionsgenauigkeit, die gegenseitige Identifikation ist folglich kein Problem. Schwieriger ist aber die Überprüfung der Daten, vor allem im Vergleich mit den klassischen Katalogen. Viele der jetzt noch anonymen Galaxien bekommen heute eine Bezeichnung und die Chancen etwas Neues zu entdecken werden geringer. Aber was soll's, es gibt so viel zu beobachten, dass einen manchmal die Qual der Wahl wieder zu M 13 führt - warum auch nicht!
Literatur
[1] Gingerich, O., J. L. E. Dreyer and His NGC, Sky & Telescope, Dezember 1988, S. 621
[2] Nilson, P., Uppsala General Catalogue of Galaxies, S. 449, Uppsala 1973
[3] Dixon, R. S., Sonneborn, G., A Master List of Nonstellar Optical Astronomical Objects, Ohio State University Press 1980
[4] Goldman, S. J., Understanding Catalog Capriciousness, Sky & Telescope, April 1997, S. 91
[5] Spruck, K., Leiter, F., Eine anonyme Galaxiengruppe, Magellan Nr. 4, 1999
[6] Steinicke, W., Anonyme Galaxien in der NGC 999-Gruppe, Magellan Nr. 5, 2000
[7] Steinicke, W., Im Quasar-Fieber, Interstellarum Nr. 14, S. 24, 1998
[8] Steinicke, W., Extragalactic Objects Discovered as Variable Stars, Umkirch 2000
[9] Zwicky, F., Zwicky, M. A., Catalogue of Selected Compact Galaxies and of Post-Eruptive Galaxies, Zürich 1971; Zwicky, F., Sargent, W. L. W., Kowal C. T., Eighth List of Compact Galaxies, Astron. J. 80, 545 (1975)