Anonyme Galaxien in der NGC 999-Gruppe

In Magellan 4 haben Klaus Spruck und Frank Leiter (Heuchelheim) über die visuelle „Entdeckung" von 6 Galaxien im Feld der NGC 999-Gruppe in Andromeda berichtet. Sie besteht aus den hellen Galaxien NGC 995, 996, 999, 1000 und 1001 und 1005. Nach Recherchen in diversen Katalogen fanden sie heraus, daß die 6 neuen Objekte nicht verzeichnet sind.

Da ich mich seit vielen Jahren mit astronomischen Daten (insbesondere zu Galaxien) beschäftige, war ich natürlich angespornt. Fazit: bis auf eine kleine Notiz (siehe unten) kann man die Galaxien als „anonym" ansehen. Jetzt nicht mehr, denn nun heißen sie „Heuchelheim 1 bis 6", jedenfalls in deutschen Amateurkreisen.

Wie kommt es, daß diese Objekte nicht verzeichnet sind (die Nr. 1 hat eine visuelle Helligkeit von 15.5m!), wurden sie schlicht übersehen? Dazu muß man zwei Fragen klären: Was haben die visuellen Beobachter des NGC/IC in diesem Feld gesehen? Warum tauchen die Objekte nicht in den klassischen Durchmusterungen des POSS auf?

 

Visuelle Durchmusterung des Feldes (NGC, IC)

Bis zum Anfang des Jahrhunderts entstanden die Kataloge nichtstellarer Objekte durch Zusammentragen diverser visueller Beobachtungen mit unterschiedlichen Instrumenten. Die allseits bekannten Ergebnisse sind der Messier-Katalog sowie der NGC und sein Anhang, der IC (dieser enthält allerdings auch schon massiv Objekte aus photografischen Durchmusterungen, z.B. von Max Wolf). Beim Zusammenstellen kann es passieren, daß neben eindeutigen Entdeckungen auch sehr unsichere Beobachtungen oder, bedingt durch die vielen beteiligten Beobachter, auch Identitäten entstehen (z.B. NGC 1593 = NGC 1608 = IC 2077). Dreyer, der Autor des NGC/IC, hatte damit seine liebe Mühe. Auch heute sind diese Kataloge noch nicht endgültig „bereinigt" - ich arbeite in diesem Zusammenhang intensiv im NGC/IC Projekt mit (www.ngcic.org). Es kann also durchaus sein, daß einige der „Heuchelheimer" in historischen Beobachtungsnotizen auftauchen.

Die NGC-Galaxien wurden 1876 von Stephan mit einem 80 cm Reflektor gefunden, er hätte die 6 Objekte sehen müssen! Vielleicht war die Nacht schlecht oder der Spiegel war angelaufen? Es gibt aber noch eine weitere Beobachtung des Feldes. Es geht um IC 240. Das Objekt wurde 1891 von Bigourdan mit dem Pariser 30 cm Refraktor entdeckt (Nr. 409 in seiner Liste). An der angegebenen Position ist aber leider nichts zu sehen (s. Abbildung).

 

Feld um NGC 996 (POSS II Aufnahme; 12,5' x 12,5'). Die Galaxien H1, G, H3 und H4 bilden eine Kette. Das Kreuz markiert die unkorrigierte Position von IC 240. Tatsächlich ist IC 240 eine Gruppe von 4 Sternen NE von NGC 999 (R ist der von Bigourdan benutzte Referenzstern).

 

Dies ist für Bigourdan eher untypisch, denn seine Angaben sind, verglichen mit anderen Beobachtern, meist sehr zuverlässig. Er hat aber seine Angaben später korrigiert: der Positionswinkel zu seinem Referenzstern war inkorrekt. Man landet nun bei einer Gruppe von 4 Sternen, die eine Linie bilden. Sie liegt nahe bei NGC 999 und Bigourdan macht deutlich, daß er IC 240 nicht mit NGC 999 verwechselt hat. Interessant ist hierbei, daß im UGC, CGCG und PGC die Identität NGC 999 = IC 240 verzeichnet ist, was zeigt, daß viele Fehler einfach übernommen werden. Es zeigt auch, daß das NGC/IC Projekt auch für die Auswertung von heutigen visuellen Beobachtungen wichtig ist. In der Tat wird versucht, zur Klärung von strittigen Fällen („puzzles"), die ursprüngliche Beobachtung mit ähnlicher Öffnung nachzuvollziehen. Steve Gottlieb hat hier wichtige Beiträge geliefert.


Photografische Durchmusterung des Feldes (POSS)

Im Prinzip hätten die Beobachter des NGC/IC die 6 Galaxien sehen müssen, sie sind allesamt für die damaligen Instrumente hell genug. Das „Übersehen" ist aber nicht ungewöhnlich und tritt an vielen Stellen des Himmels auf. Der NGC/IC ist das Ergebnis von „sweeps" vieler unabhängiger Beobachter, der Himmel wurde dabei weder koordiniert noch vollständig abgesucht!

Heute zeigt der POSS gnadenlos - für jeden im Internet oder auf CD zugänglich - alle Objekte, warum also noch visuell beobachten und dabei frieren? Eine Antwort liegt auch in dem geschilderten Beobachtungserfolg: Der POSS zeigt viele Galaxien schwächer als sie visuell erscheinen! Dies liegt an ihrer unterschiedlichen Helligkeit im blauen bzw. visuellen Bereich. Der B-V Wert liegt bei Galaxien i.A. zwischen 0.5 und 1.1 sie sind also visuell z.T. deutlich heller.

Meine Recherche zu den 6 anonymen Galaxien (H1 bis H6) war nicht ganz fruchtlos, denn drei Galaxien werden zumindest erwähnt. Im Anhang des UGC („notes") beschreibt Nilson eine Kette von 4 Galaxien bei NGC 995, es heißt dort: „chain of 4 galaxies betw U2123 and 2127" (es ist aber nicht IC 240 gemeint!). Nun ist UGC 2123 = NGC 995, aber leider ist UGC 2127 = NGC 999. Da die Kette vorhanden ist, sie liegt zwischen NGC 995 und 996, und besteht aus H1, H3 und H4 sowie einer schwachen Galaxie zwischen H1 und H3, ist Nilson wohl ein Schreibfehler unterlaufen: es muß U2118 (=NGC 996) anstelle von U2127 heißen! Aber auch das ist Alltag und kein Wunder bei den enormen Datenmengen.