Im Quasar-Fieber

Wolfgang Steinicke


1. Geschichten von Sternen, die keine sind

Ja, es gibt noch Krankheiten, die der Schulmedizin bislang verborgen geblieben sind. Oder was kann es sonst sein, wenn man mit dem Teleskop auf die Suche nach stellaren Objekten geht, die keine Sterne sind? Die Rede ist von visueller Quasar-Beobachtung. Es gibt weiß Gott spektakulärere Objekte am Himmel zu beobachten, z.B. Kugelhaufen, helle Galaxien oder Planetarische Nebel. Sterne reizen landläufig nur dann, wenn sie nicht alleine (Doppel- und Mehrfachsterne) oder variabel sind. Auf die Idee einen schwachen Feldstern ins Visier zu nehmen kommt man kaum! Außer er hat eine Geschichte zu erzählen, dann wird (wenn man die Geschichte kennt) die Sache schon wesentlich reizvoller.

Die Geschichte kann etwa lauten: Es stellt sich durch Spektroskopie heraus, daß der "Stern" in Wahrheit ein extrem weit entferntes, punktförmiges und damit äußerst leuchtkräftiges Objekt ist - eine kompakte Galaxie oder gar ein Quasar. Ein Beispiel: Im Jahr 1938 entdeckte Fritz Zwicky bei der Suche nach Weißen Zwergen mit dem 18" Schmidt des Palomar Observatoriums ein Objekt in den Jagdhunden, das später die Bezeichnung HZ 46 erhält (in der 1947 von Humason und Zwicky veröffentlichten Liste von "schwachen blauen Sternen"). In den folgenden Jahren nahm Milton Humason Spektren aller 48 HZ-Objekte auf und es stellte sich heraus, das HZ 46 eine Rotverschiebung von z = 0.045 besitzt; das 15m.2 helle Objekt befindet sich also in einer Entfernung von 176 Mpc und hat damit eine absolute Helligkeit von -21m.2! HZ 46 ist das erste "quasi stellare Objekt", das als kompakte Galaxie erkannt wurde. Ab Mitte der 60er Jahre wurden auf diese Weise immer mehr "schwache blaue Sterne" enttarnt (z.B. Ton 256, PHL 938).

Was passiert, wenn man HZ 46 - in Kenntnis seiner Geschichte - visuell beobachtet? Zum Einen erschauert man bei dem Gedanken gerade (exklusiv!) Photonen wahrzunehmen, die vor über einer halben Milliarde Jahre ausgesandt wurden (was war zu dieser Zeit auf der Erde los?), zum Anderen "spürt" man etwas von den ungeheueren Energien, die in dieser eruptiven Galaxie toben - dagegen ist unsere Milchstraße eine friedliche (aber große) Sammlung von Haushaltskerzen. HZ 46 ist sicher alles Andere als ein "prominentes" Objekt (z.B. im Vergleich mit M 82), so daß noch gute Chancen bestehen, zu einem kleinen, erlesenen Club von Beobachtern zu gehören - bevor die Masse davon Wind bekommt!

Läßt sich HZ 46 überhaupt mit Amateurteleskopen finden und beobachten? Bei einer Helligkeit von 15m.2 ist das bereits mit einem 10" Newton kein Problem. Ich habe HZ 46 erstmals am 18. Februar 1985 mit einem C 14 beobachtet. Es zeigte sich bei 255x (15 mm Spektros Okular; kein Filter) deutlich als Objekt mit stellarem Kern und asymmetrischer, nebliger Hülle, die sich auf Aufnahmen, als flügelförmige Jets entpuppt (Abb. 1).

Abb. 1 - Die eruptive Galaxie HZ 46 = Mk 54 mit ihren beiden ca. 30" langen, asymmetrischen Jets (POSS Aufnahme; Feld 2,7' x 2,1').

 

Auch in jüngster Zeit werden selbst hellere "harmlose" Sterne plötzlich zu entfernten Monstern: G. Romano entdeckte1980 mit dem 67 cm Schmidt des Asiago Observatoriums eine 12m.4 helle, extrem kompakte Galaxie im Großen Bären, die ich ebenfalls am 18. Februar 1985 beobachtet habe (Abb. 2) - vielleicht als einer der Ersten visuell, mit dem Wissen, daß hier kein Stern scheint! Das Objekt ist leicht variabel (Amplitude 0m.6) und zeigt sich als ca. 8" große Scheibe mit hoher Flächenhelligkeit, ähnlich einem Planetarischen Nebel (gelegentlich werden kompakte Galaxien mit PN's verwechselt z.B. Abell 76, oder der umgekehrte Fall: NGC 2242).

Abb. 2 - Zeichnung der kompakten Galaxie im Großen Bären (schwächste Sterne ca. 15m; Objekt ist im GSC enthalten).

 

Für mich waren die Jahre ab 1983 eine Zeit des Vorstoßens in immer größere kosmische Tiefen und damit in immer weiter zurückliegende Epochen. Auf der Suche nach neuen Highlights habe ich für mich die Quasare entdeckt. Quasare wurden zunächst als Radioquellen katalogisiert und später zur allgemeinen Überraschung mit sternförmigen Objekten identifiziert; die ersten waren 3C 48 (1960) und 3C 273 (1963). Maarten Schmidt entdeckte dann 1963 die große Rotverschiebung im Spektrum von 3C 273 (z = 0.158, entsprechend einer Entfernung von 584 Mpc).

 

2. Anfänge der visuellen Quasar-Beobachtung

Mir wurde bald klar, daß es eine große Zahl mit dem C 14 beobachtbarer Quasare gab. Die Frage war allerdings: welche Objekte kommen in Frage, wie kann ich sie finden und eindeutig identifizieren. Damals gab es noch keinen Guide Star Catalogue auf CD-ROM, geschweige denn gescheite Identifikationsprogramme (das ist auch heute noch ein Riesenproblem). Da ich bereits einige Erfahrung mit der Verarbeitung von Astrodaten hatte, besorgte ich mir den neuesten Quasarkatalog (Hewitt u. Burbidge) auf Magnetband beim Centre de Données Stellaires (CDS) in Strasbourg.

Heraus kam der "Katalog heller Quasare und BL Lacertae Objekte", der in der Fassung von 1984 immerhin 222 Objekte enthält (Grenzgröße 16m.5, Dekl > -20°). Die notwendigen Aufsuchekarten habe ich mir mühsam, großteils aus den Originalartikeln, zusammengesucht. Mit der im Katalog beschriebenen Methode lassen sich die Quasare relativ leicht finden, falls sie überhaupt sichtbar sind (viele Objekte sind bekanntlich variabel). So konnte ich in den ersten Jahren über hundert Objekte angehen. Über diese Arbeit habe ich erstmals auf der Tagung in Laupheim (Juni 1984) berichtet. Die Welt der visuelle beobachtenden Astroamateure war zu dieser Zeit sicher noch nicht soweit, denn es kam wenig Resonanz. Das kann sich heute ändern, so daß mein Interesse an Quasaren wieder geweckt ist, wenn es Möglichkeiten des Austauschs gibt. Um hier zum Erfolg zu kommen, muß aber das Interesse der Sternfreunde geweckt werden!

3. Quasare mit besonderem Reiz

Es gibt Quasare und BL Lac's von denen ein besonderer Reiz ausgeht. Dies kann verschiedene Gründe haben: große Helligkeit oder Variabilität, bemerkenswerte Geschichte oder Eigenschaften (z.B. Gravitationslinsen!), gewaltige Entfernung oder schlicht die interessante Umgebung (z.B. Nähe zu hellen Galaxien). Hier also noch einige Highlights, wobei ich die bekannten Fälle ausgelassen habe (z.B. Mk 205).

Ich erwähnte bereits die optische Variabilität vieler Objekte. So ist es kein Wunder, daß einige als veränderliche Sterne im "General Catalogue of Variable Stars" enthalten sind. Das Paradebeispiel ist BL Lac (gefunden von Cuno Hoffmeister 1929) mit einer Schwankung von 12m.0 bis 15m.5, d.h. im Maximum locker im 8" sichtbar (interessant ist, daß BL Lac, als Stellvertreter seiner Klasse, neuerdings als Quasar angesehen wird!). Weitere Beispiele sind die Quasare GQ Com, CC Boo und V396 Her sowie die BL Lacertae Objekte W Com und AP Lib. Auch kompakte oder Seyfert1-Galaxien kommen vor: BW Tau = 3C 120, X Com, V1102 Cyg und (welch ein Zufall) V395 Her = 8Zw 476.

Im folgenden möchte ich über die Beobachtung besonderer Objekte berichten, die ich anhand der oben genannten Kriterien ausgesucht habe (die vollständigen Daten zu den beobachteten Objekten sind in Tab.1 aufgeführt). Die Beobachtungen wurden mit einem C 14 von Horben bei Freiburg (500 m) und später vom Schauinsland-Observatorium der Sternfreunde Breisgau auf 1200 m Höhe durchgeführt. Es empfiehlt sich, zu zweit zu beobachten (mein Partner war Klaus Benthin), um die Eindrücke kritisch zu prüfen.

Tab. 1 - Daten zu den beobachteten Objekten

KHQ Objekt Con Rekt Dekl Typ z m M Mpc

4

S5 0014+81 Cep 00 17 08.1 +81 35 07 Q 3.387 16.5 -31.7 6691
12

I Zw 1

Psc 00 53 34.9 +12 41 36 Q 0.061 14.0 -23.4 236

24

3C 66A And 02 22 39.6 +43 02 08 BL 0.444 15.2 -26.5 1465

27

S2 0241+62 Cas 02 44 57.6 +62 28 06 Q 0.044 12.1 -25.0 172
 

UMa compact

UMa 08 52 58.4 +49 27 34 C 0.014 12.4 -21.5 55

81

PG 1115+080 Leo 11 18 17.0 +07 46 00 Q 1.728 15.8 -29.3 4228

98

GQ Com Com 12 04 42.1 +27 54 12 Q 0.165 14.7-16.3 -24.4 608

108

W Com Com 12 21 31.7 +28 13 58 BL 0.102 16.0-16.7 -22.2 387

112

Ton 618 CVn 12 28 24.8 +31 28 38 Q 2.219 15.9 -30.0 5050
 

HZ 46

CVn 12 56 56.0 +32 26 49 C 0.045 15.2 -21.2 179

194

V396 Her Com 17 22 41.3 +24 36 19 Q 0.175 15.7-16.7 -23.3 642


Große Helligkeit

Hier sind besonders die Quasare S2 0241+62 und I Zw 1 interessant. Das S2-Objekt ist mit 12m.1 der absolute Spitzenreiter. Es liegt 1° nördlich des Offenen Sternhaufen NGC 1027 in der Cassiopeia in einem leicht zu findenden Trapez von Sternen. Im 8" erscheint der Quasar ohne Probleme und zeigt im 14" keine Struktur - hier braucht man allerdings die "Quasar-Brille". Ähnlich spektakulär (auch bereits im C 8 zu sehen) ist I Zw 1 mit 14m.0 und leichter Variabilität. Im C 14 zeigt sich bereits eine diffuse Struktur (Abb. 3), die bereits Zwicky aufgefallen ist ("blue spherical compact" mit 22" Durchmesser).

Abb. 3 - Links: Zeichnung des Quasars I Zw 1 = UGC 545 mit diffusem Halo (schwächste Sterne ca. 16m; Objekt ist im GSC enthalten). Zum Vergleich rechts: Ausschnitt aus dem POSS (Feld 1,5' x 1,8').

 

Variable Objekte

Die bereits genannten Objekte GQ Com, V396 Her und W Com sind, je nach aktueller Helligkeit, leicht bis extrem schwierig. Während das BL Lac-Objekt W Com problemlos zu halten war, lag GQ Com zum Zeitpunkt der Beobachtung im Minimum bei ca. 16m.3. Hier lohnen sich häufige Beobachtungen. V396 Her war ebenfalls an der Grenze des Machbaren. Bei sehr gutem Seeing konnten beide Quasare zwar kurz aber eindeutig identifiziert werden.

Gravitationslinsen

Neben dem prominenten Doppelquasar im Großen Bären (der gut beobachtet werden konnte), ist sicherlich der Dreifachquasar PG 1115+080 interessant. Das primäre Bild ist 15m.9, die beiden anderen Bilder deutlich schwächer. Es kommt aber eine Gesamthelligkeit von 15m.8 heraus, die ein Aufsuchen lohnt. In der Tat war die Beobachtung nicht besonders schwierig, obwohl natürlich keine Einzelbilder sichtbar waren, sondern eher ein diffuser Eindruck entstand (beim Doppelquasar kann man die 6" entfernten Bilder aufblitzen sehen!). Auf jeden Fall haben die Photonen eine interessante Geschichte der Zeit (und der Gravitation) zu erzählen, die Entfernung ist immerhin mehr 4000 Mpc.

Große Entfernung

Noch weiter entfernt sind die Quasare Ton 618 und S5 0014+81, der zu den leuchtkräftigsten Objekten im Kosmos gehört. Ton 618 hat keine Schwierigkeiten gemacht, das stellare Objekt konnte konstant gehalten werden. Sehr schwierig ist das S5-Objekt, die Erfolgserwartung war gering, dafür der Aufschrei um so lauter! Beide Beobachter konnten das Objekt eindeutig identifizieren, es liegt auf der Kante eines markanten Trapezes (Abb. 4). Etwas Schwierigkeiten bereitete die hohe Deklination, da stets ohne Zenitprisma beobachtet wurde, um den Lichtverlust so gering wie möglich zu halten. Hier blickt man in die Anfangszeit des Kosmos, die Photonen sind weit vor der Entstehung der Erde auf die Reise gegangen (Vorsicht: die Lichtlaufzeit ist kosmologisch nicht einfach Entfernung/Lichtgeschwindigkeit!).

Abb. 4 - Zeichnung des extrem entfernten Quasars S5 0014+81 (schwächste Sterne ca. 16m).

 

Interessante Umgebung

Einer meiner Lieblingsquasare ist in dieser Kategorie 3C 66A an der Grenze Andromeda/Perseus. Zunächst kann man bei NGC 891 vorbeischauen, oder wenn man Lust hat, noch einen Abstecher zum Galaxienhaufen Abell 347 machen. Im Feld selbst ist ein SAO-Stern und drei UGC-Galaxien der 15. Größe (Abb. 5). 25" südöstlich der hellsten (UGC 1841 = 3C 66, 15m.0) steht noch die kompakte Galaxie V Zw 230, die trotz der angegebenen 17m.2 im C 14 zu sehen war - das Objekt besitzt wahrscheinlich eine (bislang undokumentierte) Variabilität. Der Quasar selbst ist leicht zu finden und optimal zu sehen, wenn man den SAO-Stern (8m.5) nicht ins Okular läßt!

Abb. 5 - Der Quasar 3C 66A und seine interessante Umgebung (POSS Aufnahme; Feld 10' x 6,4').