Deep Sky über dem Schauinsland
Wolfgang Steinicke
Als ich 1973 zum Studium nach Freiburg zog, wurde mir schnell klar, daß die Stadt und ihre Umgebung nicht nur touristisch einiges zu bieten hat. Bereits mit einigen Jahren amateurastronomischer Erfahrung versehen, war für mich das Ziel klar auszumachen: Freiburg's Hausberg, der Schauinsland. Nach dem, was sich seither in 1250 m Höhe astronomisch getan hat, müßte er allerdings eher „Schau-in-den-Himmel" heißen. Die Sternfreunde Breisgau e.V., denen ich seit vielen Jahren angehöre, teilen sich den exquisiten Platz mit dem Freiburger „Kiepenheuer Instituts für Sonnenphysik". Die Vereinssternwarte (Abb. 1) entstand Mitte der 80er Jahre und beherbergt heute drei stationäre Instrumente: eine 25 cm Bath-Astrokamera auf einer schweren Gabelmontierung, für die Astrophotographie auf Film oder CCD (das Instrument besticht durch sein großes, fehlerfreies Bildfeld). Ferner ein C11, ebenfalls auf einer schweren Gabel, an dem primär CCD-Aufnahmen gemacht werden und ein C14 auf einer Alt-Montierung, das ich für visuelle Beobachtungen nutze. Daneben gibt es noch zwei Dobsons (10" und 13") und ferner darf der Verein den 15 cm-Refraktor des Kiepenheuer-Instituts benutzen (z.B. für Planetenbeobachtung). Seit neuestem besitzen wir eine ST-8, mit der schon erste, spektakuläre Aufnahmen geglückt sind. Kein Wunder, der Platz ist sowohl für die Photographie als auch für visuelle Beobachtungen nahezu ideal. Nach Südosten schaut man über die dunklen Schwarzwaldhöhen, Freiburg liegt dagegen im Nordwesten. Überdies sind es von der Stadt auf gut ausgebauter Straße (mit Winterdienst) nur etwa eine halbe Stunde.
Abb. 1 - Vereinssternwarte der Sternfreunde Breisgau e.V. auf dem Schauinsland bei Freiburg (1250 m).
Mein Interesse galt von Anfang an der visuellen Deep-Sky-Beobachtung. Dies beinhaltet alles, was außerhalb des Sonnensystems zu finden ist: Sternhaufen, Planetarische Nebel (die ihren Namen aufgrund ihres manchmal scheibenförmigen Aussehens tragen), Gasnebel und natürlich Galaxien in jeder beliebigen Entfernung. Nun sind schwache, ausgedehnte Gasnebel nicht unbedingt die Domäne des langbrennweitigen C14 (knapp 4 m). Folglich richtet sich mein Hauptaugenmerk eher auf kleine, kompakte Objekte, wie z.B. Galaxien. Hier zeigt das Gerät seine volle Leistung. Die Beobachtung gewinnt an Reiz, wenn man etwas über die Objekte weiß - ihre Geschichte, Physik oder herausragende Stellung im Kosmos. Ich veranstalte seit vielen Jahren auch Führungen. Meine Erfahrung: es bringt nichts, die Leute einfach kommentarlos durchschauen zu lassen, abgesehen bei spektakulären Sachen wie Saturn, Orionnebel oder hellen Kugelhaufen. Man muß ihnen die Tiefe des Raumes "vor Augen führen", von gewaltigen Energien und Zeitskalen erzählen oder historische Anekdoten zum Besten geben. Auch für die Aktiven (und solche die es werden wollen) ist dieses Herangehen unbedingt zu empfehlen. Der volle Reiz der visuellen Beobachtung erschließt sich erst, wenn man sich mit den Objekten beschäftigt hat - andernfalls sind es nur schwache Lichtpünktchen, die man unter diversen Strapazen (tiefe Nacht, Kälte) mühsam wahrnimmt.
Die Galaxienbeobachtung ist ein aufregendes Gebiet (siehe auch diesen Bericht), stößt man doch in große Tiefen des Raumes vor. Mit dem C14 sind nahe Galaxien (ich spreche hier von 2-3 Mill. Lichtjahren) wie M31 und M33 wegen ihrer Größe wenig empfehlenswert, sie passen nicht ins Okular, ein kurzbrennweitiger Dobson ist hier besser geeignet. Auch die anderen Galaxien der lokalen Gruppe sind aufgrund ihrer geringen Flächenhelligkeit keine leichte Beute. Interessant wird es erst, wenn die Objekte kleiner als 15' sind. Für die meisten Galaxien trifft dies natürlich zu. Besonders imposante Eindrücke hinterlassen z.B. NGC 4565 im Haar der Berenice oder NGC 891 in Andromeda. Beide Galaxien erscheinen nahezu von Kante (man spricht von „edge-on") und der dunkle Staubring tritt als Schnittlinie deutlich hervor. Im Frühjahr ist NGC 4565 ein beliebtes Objekt. Die beigefügte Zeichnung (Abb. 2) zeigt ebenfalls die schwache „Begleitgalaxie" NGC 4562, die senkrecht zu NGC 4565 steht, ein interessantes Paar! Unsere neue ST-8 nahm NGC 4565 als „first light" auf, kurz darauf entstand ein Bild von M101, der bekannten „face-on"-Galaxie im Großen Bären (Abb. 3).
Abb. 2- Die „edge-on" Galaxie NGC 4565, 14,8' x 2,0' groß und 10m.3 hell. Nur 13,5' entfernt steht, nahezu im rechten Winkel, NGC 4562 (14m.4). Zeichnung: W. Steinicke am C14 bei 125x.
Abb. 3- Die ersten Bilder mit der neuen ST-8 an der Bath-Astrokamera (f=1050mm, 1:4,2). Oben: M101, Komposit aus 12 Aufnahmen zu je 5 min. Unten: NGC 4565, Komposit aus 12 Aufnahmen zu je 4 min. Aufnahmen: Sternfreunde Breisgau.
Die Schräglage einer Spiralgalaxie, ihre Inklination, variiert zwischen i=0° (face-on) und i=90° (edge-on). Die Flächenhelligkeit von großen face-on-Galaxien ist meist relativ gering, aber auch edge-on-Galaxien können visuell schwierig sein. Hier ist zwar die Fläche kleiner, der Staubring absorbiert aber relativ viel Licht („internal extinction"), das Bild wird schwächer. So ist z.B. NGC 891 kein einfaches Objekt, es reagiert sehr empfindlich auf Durchsicht und Seeing (für mich daher eines meiner Testobjekte). Noch extremer sind „superthin galaxies", die von Hause aus sehr flach sind, keinen zentralen Bauch („bulge") besitzen und unter i=90° erscheinen. Ein Beispiel ist die Galaxie IC 2233 im Luchs (Abb. 4), die ich mit dem C14 beobachten konnte (über weitere Beispiele aus dieser interessanten Objektklasse werde ich gelegentlich berichten). Wie die Erfahrung zeigt, dürfte das Maximum der Flächenhelligkeit von Spiralgalaxien bei Inklinationen zwischen 45° und 60° liegen. Helligkeiten von Galaxien sind sowieso ein Thema für sich. In diversen Katalogen findet man für ein Objekt unterschiedliche Werte, es kommen Differenzen von 1 bis 2 Größenklassen vor. Das liegt z.T. an ungenauen Daten, aber auch an der Definition. Es gibt Rot-, Blau-, visuelle oder photographische Helligkeiten. Gerade der Unterschied zwischen Photographie und visuellem Eindruck ist oft beachtlich. Vergleicht man etwa mit den „blauen" Ausgabe des Palomar Observatory Sky Survey (POSS), so erscheinen viele Galaxien visuell, also im gelb-grünen Spektralbereich heller. Hierzu - wie auch zu vielen anderen Themen der praktischen Beobachtung - wird es eine ausführliche Darstellung im geplanten „Deep-Sky-Buch" der Fachgruppe "Visuelle Deep-Sky Beobachtung" (FG Deep-Sky) geben.
Abb. 4 - Die „superthin galaxy" IC 2233 im Luchs; Helligkeit 13m.0,
Größe 4,6' x 0,5' (POSS). Hier fehlt noch eine Amateuraufnahme!
Zurück zum Schauinsland und den Galaxien über ihm. Wie schon das Beispiel NGC 4565/NGC 4562 zeigt, ergibt sich ein besonders eindrucksvolles Bild, wenn zwei oder mehrere helle Galaxien gleichzeitig im Gesichtsfeld zu sehen sind. Für die Praxis habe ich hierzu einen Beobachtungskatalog zusammengestellt (Katalog der Galaxiengruppen). Er enthält 215 Paare bzw. Gruppen von Galaxien die maximal 15' auseinander stehen. Da die Grenzhelligkeit bei 14m liegt, kann man diese Objekte bereits mit einem 8"er angehen. Man stößt hier bis in den Coma-Galaxienhaufen vor, immerhin etwa 300 Mill. Lichtjahre entfernt. Die meisten Gruppen habe ich mir mit dem C14 angesehen und Notizen oder gelegentlich Skizzen gemacht. Von einigen Gruppen wurden auch bereits Aufnahmen gemacht.
Es geht auf dem Schauinsland aber noch weiter hinaus: ein anderes Programm beinhaltet die visuelle Beobachtung von Quasaren. Das beschäftgit mich seit über 15 Jahren und ich habe bislang knapp 100 Objekte beobachtet. Der Reiz liegt eindeutig darin, zu den extremsten Bereiche des Kosmos vorzustoßen, sowohl räumlich als auch hinsichtlich der physikalischen Prozesse. Beide Programme (Quasare, Galaxiengruppen) werden derzeit als Projekte der FG Deep-Sky weitergeführt. Hierbei kooperieren Beobachter und CCD'ler (z.T. aus der FG Astrophotographie) mit erstaunlichen Ergebnissen. Erst kürzlich war Stefan Karge beim Quasar APM08279+5255 im Großen Bären erfolgreich, mit ca. 7 Mrd. Lichtjahren (Rotverschiebung z=3,87) das bislang entfernteste Objekt, das visuell beobachtet werden konnte! Besonders interessant: es handelt sich um eine Gravitationslinse, bestehend aus zwei nahezu gleichhellen Bildern im Abstand von nur 0,4". Da die Gesamthelligkeit unter 17m liegt, brauchte Stefan einen 24"er (diese Öffnung reicht aber für eine Auflösung bei weitem nicht!). Für eine moderne CCD-Kamera sind 17m natürlich kein Problem, z.B. ist für die ST-7 auch an kleineren Teleskopen, selbst unter mäßigen Bedingungen, erst jenseits der 20. Größe Schluß. So gelang W. Düskau mittlerweile die erste Amateuraufnahme des Objekts (Abb. 5). Vielleicht wird der Quasar auch bald vom Schauinsland aus visuell beobachtet, allerdings ist das C14 hierfür zu klein! Der Verein plant die Installation eines 20" Dobsons - dann werden die Karten neu gemischt!
Abb. 5 - Erste Amateuraufnahme des Quasars APM08279+5255, eine Gravitationslinse
in einer Entfernung von über 7 Mrd. Lichtjahren! Aufnahme: W. Düskau
mit ST-7E am 5" APO-Refraktor 1:8 mit IR-Sperrfilter (Belichtungszeit 15 min).
Wie meine Erfahrung zeigt, ist am Himmel in Punkto Deep-Sky für jeden etwas zu holen, selbst mit kleineren Geräten und mäßigen Beobachtungsbedingungen. Man sollte sich auf keinen Fall durch die modernen „Riesenkisten" abschrecken lassen. Früher hat man mit bescheidenen Mitteln (ich habe lange Jahre mit einem 4" Newton beobachtet) auch schon Beachtliches geleistet - damals konnte man von 8" nur träumen. Wichtig ist die schrittweise Zunahme der Öffnung, nur so gewinnt man an Erfahrung. Gerade die FG Deep-Sky nimmt sich diesem Thema an. Sie will ein Kommunikationszentrum für alle Beobachtungsbedingungen und Erfahrungen sein und nicht (nur) ein Club der 20"-Freaks, die etwa Jagd auf „Mailyan-Zwerggalaxien" machen. Zu den im Text genannten Objekten aus dem NGC/IC sei auf meinen revidierten Katalog verwiesen. Er ist momentan die verläßlichste Quelle für Positionen und Daten aller NGC/IC-Objekte. Dieser Katalog wird auch in der neuen Version 8 des bekannten Skyprogramms „Guide" enthalten sein, die ich nicht nur aus diesem Grund für Beobachter sehr empfehlen kann.