Der New General Catalogue (NGC) und seine Beobachter

Teil 2: David Peck Todd


von Wolfgang Steinicke


Was findet man, wenn man visuell nach dem trans-Neptunischen Planeten (heute als Pluto bekannt) sucht? Galaxien! Was es damit auf sich hat, erfahren Sie in diesem Artikel. Auch der Mars, eine Orgel, Ballonflüge und sogar SETI spielen dabei eine Rolle. Es geht um das bewegte Leben eines bekannten amerikanischen Astronomen des 19. Jahrhunderts: David Todd (Abb. 1).


Abb. 1: David Peck Todd (1855-1939).


Ein Blick in den „New General Catalogue"

Schaut man sich die Spalte „Other Observers" des NGC [1] an, so entdeckt man an acht Stellen den Namen Todd - einmal, bei NGC 4202, lediglich „Tod" (ein Druckfehler). In der Einleitung heißt es (übersetzt): „Todd. Eine Anzahl nebelhaft erscheinender Objekte wurden von Prof. D. P. Todd während seiner Suche nach dem ultra-Neptunischen Planeten gefunden aber ich habe lediglich acht von ihnen aufgenommen, da der nebelhafte Charakter der anderen sehr zweifelhaft schien". Alle Objekte befinden sich in den Sternbildern Löwe und Jungfrau, also nahe der Ekliptik. Dies hängt unmittelbar mit der Planetensuche zusammen, die hier den meisten Sinn macht (die hohe Bahnneigung des Pluto war damals jenseits aller Vorstellungskraft). Beginnen wir aber zunächst mit dem Leben von David Todd [2] und betrachten die Dinge in ihrer historischen Abfolge.

 

Todd in Amherst und Washington

David Todd wurde am 19. März 1855 in Lake Rich, New York geboren. Ab 1874 besuchte er für zwei Jahre das Columbia College in New York und wechselte dann ins Amherst College, Massachusetts. Dort weckte das alte Lawrence Observatorium mit seinem 7,25" Clark Refraktor sein Interesse. Mit 20 machte er seinen Abschluss mit hervorragendem Ergebnis. Das Teleskop nutzte er für eingehende Beobachtungen der Jupitermonde, insbesondere zur genauen Analyse der Bedeckungen. Auf diese Arbeiten wurde einer der bekanntesten Astronomen seiner Zeit aufmerksam, Simon Newcomb, Direktor des renommierten US Naval Observatoriums (USNO) in Washington. Newcomb war eine Kapazität der Himmelsmechanik und Herausgeber des Jahrbuchs „American Ephemeris and Nautical Almanac". Die Sternwarte verfügte seit 1873 über einen gewaltigen 26" Refraktor (Abb. 2). Im Jahr 1875 bot Newcomb Todd eine Assistentenstelle an, doch dieser zögerte. Er wollte lieber Organist werden! Schließlich ließ er sich umstimmen, stellte seine Liebe zur Musik zurück und blieb bis 1881 am USNO.

Todd konnte seine himmelsmechanischen Studien weiterführen, es ging z.B. um die Sonnenparallaxe aber auch um Bahnstörungen des Planeten Uranus. Hieraus entwickelte sich seine Suche nach dem hypothetischen trans-Neptunischen Planeten. Doch bevor er dazu die Möglichkeiten des grossen Refraktors nutzen konnten, kam es am USNO zu einer sensationellen Entdeckung: Asaph Hall fand im August 1877 mit dem 26-Zöller die Marsmonde Phobos und Deimos [3]. Mars stand der Erde besonders nahe und Todd war Augenzeuge als Hall Newcomb und ihm am 18. August die Monde präsentierte. Er notierte: „Seeing extrem schlecht aber ich sah den Begleiter [Deimos] ohne Schwierigkeit. Halo um Mars sehr hell, der Mond war in diesem Halo sichtbar."


Abb. 2: Der 26" Refraktor des USNO (am Okular sitzt Simon Newcomb).

 

Ab November war das Teleskop frei und er konnte mit der visuellen Suche nach dem neuen Planeten beginnen. Todd hatte eine Umlaufzeit von 375 Jahren und eine Entfernung von 52 AE berechnet und erwartete eine Scheibe von 13 mag (!). Mit Vergrößerungen von 400 bis 600fach durchkämmte er große Areale der Sternbilder Löwe und Jungfrau, notierte nichtstellare Objekte, fertigte Zeichnungen und wiederholte die Beobachtungen Tage später um eine Bewegung festzustellen. Ein akribischer Beobachter, doch leider letztlich erfolglos. Am 6. März 1878 um 3:45 beendete er die Suche. Seine Ausbeute waren insgesamt 30 Objekte, die er erst sieben Jahre später (1885) publizierte [4]. Dreyer wurde auf den Artikel aufmerksam und prüfte die Objekte, nahm schließlich acht von ihnen in den „New General Catalogue" von 1888 auf: NGC 3134, 3217, 3279, 3436, 3685, 3849, 4202 und 4355. Dazu später mehr.

In Washington verliebte sich Todd in die Tochter (Mabel) von Eben Jenks Loomis, ebenfalls Astronom am USNO. Sie heirateten 1879 und hatten eine Tochter (Millicent). Mabel Loomis Todd (1856-1932) war astronomisch interessiert und schrieb viele populärwissenschaftliche Artikel (siehe z.B. [5]).

 

Professor am Amherst College

1881 wurde Todd die Stelle als Direktor des Amherst College Observatoriums angeboten. Er blieb dort als Professor für Astronomie bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1920 (Abb. 3). Das Prunkstück des Observatoriums ist ein 18" Clark Refraktor, der 1903 errichtet wurde [6]. Todd's Schwerpunkt war die Beobachtung und Auswertung von Sonnenfinsternissen und er unternahm, meist begleitet von seiner Frau, zahlreiche Reisen. Aber auch die Planeten ließen ihn nicht ruhen. Percival Lowell, Inhaber der Observatoriums in Flagstaff, Arizona, war besessen von der Idee den trans-Neptunischen Planeten zu finden und interessierte sich für die Arbeiten von Todd. Für beide war auch Mars ein zentrales Forschungsobjekt, wobei Lowell von der Existenz der Marskanäle überzeugt war. Um seine Beobachtungen mit dem 24" Refraktor in Flagstaff zu bestätigen, finanzierte er Todd 1907 eine aufwendige Expedition nach Chile, den 18-Zöller aus Amherst gleich mit im Gepäck. Todd machte dort in fünf Wochen über 13.000 Aufnahmen, die eindeutige „Beweise" lieferten. Lowell war begeistert, der Mars war also bewohnt. Allerdings trennten sich Todd und Lowell im Streit über die Urheberrechte der Aufnahmen. Die Kanäle lösten sich bekanntlich in Luft auf.


Abb. 3: Todd's Haus in Amherst.


Todd war auch ein begeisterter Ballonfahrer und er nutzte die Gelegenheit, den Halley'schen Kometen 1910 aus einer Höhe von über 3.000 m zu beobachten - leider blieb man unter der Dunstgrenze. 1913 erreichte Todd mit einem Armee-Ballon eine Höhe von 6.600 m - er wollte von hier aus mit den Marsbewohnern kommunizieren! Bei der Marsopposition vom August 1924 war er wieder zur Stelle und benutzte einen Radioempfänger um Signale bei 5 bis 6 km Wellenlänge zu empfangen. Das „knistern" kam aber nicht von den Marsbewohnern, denn bei dieser Wellenlänge reflektiert die obere Atmosphäre leider alle Signale.

Todd's bewegtes Leben endete am 1. Juni 1939 in Lynchburg, Virginia im Alter von 84 Jahren. Seine Frau Mabel und er wurden bereits zu Lebzeiten am Himmel als Kleinplaneten verewigt: (510) Mabella und (511) Davida; beide entdeckt und benannt von R. S. Dungan (Heidelberg) im Jahre 1903.

 

Todd's Galaxien

Kommen wir nun zu den Beobachtungen, die im Rahmen des NGC/IC Projekts [7] analysiert wurden. Die präzisen Zeichnungen und Kommentare in [4] zeigen, dass alle acht NGC-Objekte existieren. Betrachten wir beispielhaft Todd's Objekt Nr. 30, das als NGC 3279 aufgenommen wurde. Seine Zeichnung und das Bild aus Guide 8 (um 180° gedreht, da bei allen Zeichnungen Norden unten ist) stimmen exakt überein (Abb. 4). Todd schreibt zu seiner Beobachtung vom 5. März 1878: „a like elongated nebula - rather faint" (bei 400fach) und eine Nacht später: „object fixed". Interessant ist, dass Lewis Swift [8] den Nebel am 29.01.1890 noch einmal entdeckte. Dreyer bemerkte die Identität nicht und nahm ihn als IC 622 in den „First Index Catalogue" von 1895 [1] auf. Das gleiche Schicksal teilen Todd 29 = NGC 3217 und Todd 10 = NGC 3849 (Todd hielt diesen Nebel zunächst für „large and nebulous", korrigierte sich bei einer zweiten Beobachtung zu „small, quite condensed"). Beide Objekte fand Stephan Javelle später mit dem 30" Refraktor in Nizza: IC 606 (18.04.1893) bzw. IC 730 (22.03.1893). Interessant ist bei Javelle eine Kuriosität, die hier perfekt ins Bild paßt: Er berichtete von einem seltsamen, künstlichen Licht, das er 1894 auf dem Mars gesehen haben will. Das brachte ihm die zweifelhafte Ehre ein, in H. G. Wells' „Krieg der Welten" von 1898 als „Lavelle of Java" aufzutauchen!


Abb. 4: Todd 30 = NGC 3279. Links: Todd's Zeichnung. Rechts: Ausschnitt aus Guide 8 (Norden unten).

 

Es gibt zwei Galaxien im NGC/IC, die Todd ebenfalls gefunden hat, was aber von Dreyer übersehen wurde! Javelle's IC 591, entdeckt am 31.3.1892, ist eindeutig Todd 22, wie seine Zeichnung verdeutlicht (Abb. 5). Eine weitere Bestätigung ist seine Skizze des Sucherbilds. Das Objekt steht zwischen Regulus und Uranus (näher bei diesem). Guide 8 zeigt, dass Uranus zum Beobachtungszeitpunkt (8. Februar 1878) unmittelbar nördlich von IC 591 stand. Todd ist also der eigentliche Entdecker dieser Galaxie! Nicht so bei William Herschel's III 5 = NGC 3342, gefunden am 18.1.1784. Dies ist Todd 24. Kurioserweise hat Herschel den Nebel noch einmal entdeckt ohne die Identität zu bemerken: I 272 vom 4.3.1796, wobei er ebenfalls Uranus (seinen „Georgian Planet") als Referenzobjekt benutzte. Er erscheint bei Dreyer als NGC 3332. Das Objekt wurde auch von Eduard Schönfeld (6" Refraktor, Mannheim 26.3.1862) und Hermann Vogel (8" Refraktor, Leipzig 1867) gesehen. Ob Dreyer die Identität mit Todd 24 kannte, ist zweifelhaft. Todd's Koordinaten (von den Teilkreisen abgelesen) sind oft miserabel und Dreyer hat wohl kein passendes Objekt in seinen Daten gefunden, vielleicht wäre ihm dann auch aufgefallen, dass NGC 3332 = NGC 3342 ist.

 

Abb. 5: Todd 22 = IC 591. Oben: Todd's Zeichnung und Sucherbild. Unten: Ausschnitt aus Guide 8 (Norden unten); der Abstand zum linken Stern beträgt Da = 80s.


Die Galaxie NGC 3436 (Todd 6) fehlt übrigens im neuen „Deep Sky Field Guide" [9]. Eine kritische Diskussion der DSFG-Daten findet man in [10]. Die Objekte (Tab. 1) liegen visuell alle zwischen 12 und 14.5 mag und sind für 8-12" Teleskope gut erreichbar. Es lohnt sich also auf eine historische Pirsch zu gehen und Todd's Beobachtungen nachzuvollziehen!


Tab. 1: Angaben zu Todd's Galaxien (vgl. auch die NGC/IC-Daten in [11]). Ura = Uranometria II, V = visuelle Helligkeit (mag), Fh = Flächenhelligkeit (mag/arcmin2), a x b = Größe ('), PW = Positionswinkel (°), Beobachter (nach Dreyer; vgl. Text).

Todd
Galaxie
Identität
StB
URA
Koordinaten (2000.0)
V
Fh
a x b
PW
Typ
Beobachter
22
IC 591  
LEO
93
10 07 27.6 +12 16 25
13.2
12.7
1.0 x 0.7
170
Sbc
Javelle
21
NGC 3134  
LEO
92
10 12 29.1 +12 22 35
13.7
11.7
0.8 x 0.2
50
S0
Todd
29
NGC 3217 IC 606
LEO
92
10 23 32.6 +10 57 33
14.5
12.3
0.5 x 0.3
30
Sc
Todd, Javelle
30
NGC 3279 IC 622
LEO
92
10 34 42.6 +11 11 47
13.4
13.0
2.9 x 0.4
152
Scd
Todd, Swift
24
NGC 3332 NGC 3342
LEO
92
10 40 28.2 +09 10 55
12.3
12.9
1.4 x 1.4
 
E-S0
Herschel W.
6
NGC 3436
 
LEO
 
10 52 27.4 +08 05 37
13.9
12.7
0.7 x 0.5
90
S0
Todd
9
NGC 3685  
LEO
111
11 28 16.2 +04 19 37
14.1
12.3
0.7 x 0.4
140
E-S0
Todd
10
NGC 3849 IC 730
VIR
111
11 45 35.2 +03 13 54
13.7
12.8
0.8 x 0.5
36
S0-a
Todd, Javelle
18
NGC 4202  
VIR
111
12 18 08.5 -01 03 52
13.6
13.3
1.2 x 0.7
127
Sb-c
Todd
17
NGC 4355 NGC 4418
VIR
111
12 26 54.6 -00 52 42
13.1
12.9
1.5 x 0.7
59
Sa
Todd, Herschel W.

 

Literatur

[1] Dreyer, J. L. E., New General Catalogue, First Index Catalog, Second Index Catalogue, Reprint Royal Astronomical Society, London 1962 (Revidierte Fassung hier)

[2] Hudson, C. J., David Todd 1855-1939, Popular Astronomy 47, 472 (1939)

[3] Steinicke, W., Asaph Hall und die Entdeckung der Marsmonde, VdS-Journal 1/2003, 87

[4] Todd, D. P., Telescopic search for the trans-Neptunian planet, Astron. Nachr. Nr. 2698, S. 153 (1885)

[5] Loomis Todd, M., A Great Modern Observatory, Harvard's Astronomical Work, The Century Magazine 54, 290 (June 1897)

[6] Fischer, D., Der 18-Zoll-Refraktor des Amherst College, Sterne u. Weltraum, 6/1990, 386

[7] NGC/IC Project

[8] Steinicke, W., Der NGC und seine Beobachter - Lewis Swift, interstellarum 22, 56 (2002)

[9] Cragin, M., Bonanno, E., Deep Sky Field Guide, Willmann Bell 2001

[10] Steinicke, W., Deep-Sky Kataloge, die neue Uranometria und andere Geschichten, VdS-Journal 2/2002, 102

[11] Homepage W. Steinicke