Weselowski 1 - Entdeckung einer Nachbargalaxie im Cepheus?
von Gido Weselowski und Wolfgang Steinicke
Am Abend nach der BoHeTa 2000 im mediterranen Restaurant gegenüber der Bochumer Uni. Das Essen war abgeräumt, schräg gegenüber am Tisch saß Gido, den ich (Wolfgang) bisher nur von einigen emails auf der deepsky-Liste kannte, allerdings ohne mich an den Nachnamen zu erinnern. Alle hatten etwas aus dem Astro-Nähkästchen zu erzählen, einige wenige zeigten der „professionellen" Runde mutig ihre Bilder. So kam ich mit Gido beim Rotwein ins Gespräch und ich sah einen A4-Ausdruck in schwarz-weiß mit langbelichteten CCD-Aufnahmen. Unter einer stand „Weselowski 1" und ich fragte - als alter Katalog-Freak - erstaunt, was das für ein Objekt sei? Ich kenne viele Kataloge, aber der „Weselowski" war mir nicht geläufig. Die Antwort finden Sie in diesem Artikel. Folgen Sie uns auf eine interessante Entdeckungsreise zum Himmel über Köln und in die Tiefen der Katalogwelt. Lassen wir zunächst Gido über die Vorgeschichte berichten.
Mt. Palomar, Köln und ein seltsamer Fleck
Viele haben mir die Frage gestellt, ob es sich überhaupt lohnt, am Rande einer Großstadt astronomische Beobachtungen zu betreiben. Es lohnt sich. Nachdem in Sky & Telescope ein Artikel über die Entdeckung der nahen Galaxie Cepheus 1 mit dem Radioteleskop in Dwingeloo (Niederlande) erschien [1], lies mich dieses Thema nicht mehr los. Ich wollte wissen, ob ein solch lichtschwaches Objekt auch mit den Mitteln eines Amateurastronomen sichtbar gemacht werden kann. Die zugegebenermaßen vage Hoffnung begründete sich darauf, daß René Walterbos (Apaché Point Observatory, New Mexico), einer der Entdecker von Cepheus 1, die Galaxie im roten bzw. infraroten Spektralbereich mit einem 2,2 m Teleskops auf CCD abbilden konnte. Angespornt durch diesen Erfolg und natürlich über alle Maßen optimistisch dieses Objekt auch aufnehmen zu können, wählte ich im Internet die Seiten des Digital Sky Surveys (DSS) an [2]. Hier ist der gesamte Himmel bis jenseits der 20. Größenklasse für jeden zugänglich. Davon hat man als Amateur lange geträumt. Mittlerweile gibt es zwei Versionen. Zum einen die digitalisierten Blauaufnahmen des in den 50er Jahren aufgenommenen Palomar Observatory Sky Survey (heute mit POSS I bezeichnet) und des südlichen Pendants der ESO. Seit kurzem sind nun auch die deutlich besseren POSS II-Aufnahmen (in Blau und Rot) aus den 70er Jahren im Netz. Durch Eingabe der Koordinaten der Galaxie landete ich schnell im gewünschten Himmelsausschnitt (Tab. 1 enthält die Daten aller genannten Objekte). Es war außer Sternen aber nichts zu erkennen. Erst durch Invertieren (Darstellung von schwarzen Sternen auf weißem Grund) und Kontrastverstärken des herunter geladenen Bildes war Cepheus 1 zu erkennen (Abb. 1). Meine Überraschung war groß. 50 Jahre lang schlummerte diese Bildinformation bereits auf dem POSS I, ohne daß es jemand bemerkt hätte - ein Hoch auf die digitale Bildverarbeitung. Folgendes klingt vermessen, ist aber ein Beweis für die Leistungsfähigkeit der heutigen Amateurinstrumente: Meine Erfahrung hat gezeigt, daß ich (nahezu) alle Objekte die auf dem POSS I zu sehen sind, auch mit meinem 10" Newton abbilden kann - obwohl er am Standrand von Köln steht und nur 1/23 der Teleskopfläche des 48" Big Schmidt auf dem Mt. Palomar besitzt! Wie geht das? Die Antwort besteht aus drei Buchstaben: CCD. Als der POSS I aufgenommen wurde, standen nur „langsame" Emulsionen auf Photoplatten zur Verfügung. Die heutigen CCD-Chips (ich habe eine ST-7E mit diversen Filtern) sind extrem lichtempfindlich und mit optimaler Aufnahmetechnik und Bildverarbeitung ist eine Menge möglich [3].
Abb. 1 - Extrem kontrastverstärkte POSS I-Aufnahme der 1998 entdeckten Galaxie Cepheus 1.
Mein Plan war also, Cepheus 1 zu versuchen, doch dazu ist es nicht gekommen. Eine lang anhaltende Schlechtwetterperiode setzte dem Vorhaben zunächst ein Ende. Durch diesen „glücklichen" Umstand überlegte ich mir tags darauf, die benachbarten Felder um Cepheus 1 (in jeweils 30' Abstand in allen vier Himmelsrichtungen) auf dem DSS zu inspizieren - und entdeckte prompt in nördlicher Richtung einen länglicher Fleck. Er hob sich nach Invertierung und Kontrastverstärkung des Bildes deutlich vom Himmelshintergrund ab (Abb. 2, ganz links). Um sicherzugehen, daß es sich nicht um einen Plattenfehler handelt, schaute ich mir die verfügbaren DSS-Aufnahmen an (POSS I, POSS II blau/rot). Er war auf allen drauf, also kein Plattenfehler, aber was dann? Eine Galaxie, ein galaktischer Nebel? Für ersteres spricht, daß das Objekt auf der Blau- und (etwas deutlicher) auf der Rotaufnahme zu sehen war. Galaxien bestehen bekanntlich aus Sternen, die kontinuierliches Licht aller Wellenlängen ausstrahlen. Reflexionsnebel dominieren dagegen eindeutig im blauen Spektralbereich, Emissionsnebel dagegen im roten.
Was macht man als nächstes: Kataloge „wälzen". Das hört sich aufwendig und staubig an, ist aber im Internet-Zeitalter ein Kinderspiel - wenn man weiß wie es geht! Es gibt im wesentlichen zwei Datenbanken: SIMBAD für die galaktischen (Sterne, Haufen, Nebel) und NED für die extragalaktischen Objekte (Galaxien, Quasare). Wenn man erstmal „drin" ist [4], gibt man z.B. die Koordinaten und einen gewünschten Radius ein. Dann werden alle in der Datenbank enthaltenen Objekte, die im Suchfeld stehen, angezeigt. Leider war in meinem Fall kein geeigneter Kandidat innerhalb von 6' dabei. Auch mit mäßig genauen Koordinaten lohnt sich ein größerer Radius bei einem derart kleinen Objekt nicht. Also Fehlanzeige, das Objekt ist ein keinem bekannten Katalog enthalten (ein ähnlicher Fall ist in [5] beschrieben). Ich ließ kurzerhand Cepheus 1 links liegen und versuchte die unbekannte Galaxie (?) mit meinem Teleskop optisch nachzuweisen. Da das Objekt wie gesagt auf der roten POSS-Platte etwas deutlicher war, beschloß ich für die Aufnahmen ein Rotfilter zu benutzen. Diese Wahl ist auch logisch, da es sich um ein Gebiet inmitten der Milchstraße handelt. Sterne, Gas und vor allem Staub behindern die freie Sicht auf die ferneren Regionen des Alls. Nur rotes, langwelliges Licht kann die interstellare Materie einigermaßen durchdringen, alles andere wird reflektiert oder absorbiert. Bei insgesamt 12 Stunden (!) Belichtungszeit wurden Einzelaufnahmen von 1 Stunde bzw. 30min aufaddiert. Resultat: das Objekt ist tatsächlich noch zu sehen, allerdings hart an der Grenze (Abb. 2, 2. Bild v. links). Sein Licht hatte es auch wahrlich schwer, erst durch die staubige Milchstraße, dann noch durch den trüben Kölner Großstadthimmel.
Abb. 2 - Das neu entdeckte Objekt „Weselowski 1" nördlich von Cepheus 1. V. l. n. r.: Rote POSS II-Aufnahme. Gido's erste CCD-Aufnahme vom 1.6.2000 (10" Newton, ST-7E mit Rotfilter, 12 Std. integrierte Belichtungszeit). CCD-Aufnahme von René Walterbos mit dem 1m-Teleskop des Apaché Point Observatory. Gido's neueste CCD-Aufnahme mit höherer Auflösung vom 14.11.2000 (Orangefilter).
Ein Bild aus New Mexico
Ich schickte eine email mit meiner Aufnahme und den Koordinaten an René Walterbos. Er meldete sich bereits nach wenigen Stunden und war zu meiner großen Überraschung bereit, den „smudge" (O-Ton René; zu deutsch: Fleck) mit dem 1m-Spiegel und einer CCD Site-chip Kamera (ähnlich der von Apogee) aufzunehmen. Das Resultat ist in Abb. 2 (2. Bild v. rechts) zu sehen. Danke René! Er vermutete, daß es sich um einen Nachbar von Cepheus 1 handeln könnte, damit wäre es eine neue „nearby galaxy" in ca. 20 Mill. Lj Entfernung - eine sehr rare und entsprechend begehrte Gattung. Die Sache schien spannend zu werden. Leider gab es keine HI-Daten (neutraler Wasserstoff), die weit genug über den Bereich von Cepheus 1 hinausreichten. Die im Radiowellenbereich liegende Wasserstoffstrahlung durchdringt die galaktische „zone of avoidance", also den Bereich stärkster Absorption, einigermaßen mühelos. Das Objekt könnte aber auch eine stark geschwächte Hintergrundgalaxie sein - also alles offen.
Das war die Ausgangssituation beim Astro-Stammtisch in Bochum. Ich erzählte Wolfgang von meinen und René's Bemühungen und er war sofort bereit in seinen Daten nachzusehen und seine astronomischen Freunde zu konsultieren. Er hat also wieder das Wort.
Weitere Hilfe von den Profis
Es ist ein Irrtum, daß die Profiastronomen ein elitäres Völkchen sind, die den Kontakt zu Amateuren tunlichst vermeiden - (heimische) Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Doch bevor ich die Götter anrief, schaute ich in meine Datenbank. Dabei kam mir Halton Arp's „shred" [6] in den Sinn, ein extragalaktischer Fetzen 3' nordöstlich der Ringgalaxie Arp 145 in Andromeda (Abb. 3).
Abb. 3 - Ein ähnlicher Fall? Der „shred" nordöstlich von Arp 145.
Vielleicht gibt es hier Gemeinsamkeiten und Gido's Objekt ist ebenfalls eine „peculiar galaxy". Ich sah den „smudge" auch deutlich auf dem Infrared Survey of the Galactic Plane, der 1977 mit dem 48" Palomar-Schmidt aufgenommen wurde. Dabei kam mir die Idee, im neuen 2 Micron All Sky Survey nachzusehen, der seit einiger Zeit wunderbare Bilder im nahen Infrarot liefert [7]. Der 2MASS wird mit dem 1,3 m Cassegrain Teleskop auf dem Mt. Hopkins (Arizona) aufgenommen und es wurden schon einige neue Galaxien im Bereich der Milchstraße entdeckt. Leider war der gewünschte Himmelausschnitt noch nicht im Internet verfügbar. Ich fragte meinen Freund Harold Corwin (NED), was er von dem neuen Objekt hält (sein Kommentar: „an interesting mystery!") und ob es eventuell eine unveröffentlichte 2MASS-Aufnahme gäbe. Das Auswerteteam sitzt quasi nebenan - die betreffende Gegend war aber leider noch nicht im Kasten. Ich fragte weiter bei Ron Buta von der University of Arizona nach, ebenfalls ein Experte für nahe Galaxien (er hat sich z.B. mit der IC 342/Maffei-Gruppe beschäftigt). Leider auch von dort nichts hilfreiches. Dann viel mir Reneé ein - aber diesmal nicht männlich (Walterbos), sondern weiblich: Reneé Kraan-Korteweg aus den Niederlanden hat im nahen Basel bei Prof. Tammann studiert, war einige Zeit am Dwingeloo Radioteleskop und beschäftigt sich intensiv mit der Suche nach „versteckten Galaxien" hinter der Milchstraße [8]. Prominentestes Beispiel: ihre Entdeckung von Dwingeloo 1 aus dem Jahr 1994. Das Objekt wurde übrigens kürzlich von Frank Richardsen aus der FG Deep-Sky visuell im 20"er gesehen! Momentan arbeit Reneé in Mexico (Universidad de Guanajato), allerdings wurde meine email mit Gido's Aufnahmen (darunter auch eine neue mit höherer Auflösung; Abb. 2, ganz rechts) nach Australien umgeleitet und sie antwortete mir von „down under", daß sie die Sache äußerst interessant fände. Wohl auch deshalb, weil ihr österreichischer Kollege Ronald Weinberger (vor allem durch seine Arbeiten über Planetarische Nebeln bekannt) bei einer systematischer Suche in der Gegend nichts gefunden hatte - da war Gido erfolgreicher. Zurück in Mexico machte Reneé mir kurz vor Weihnachten einen interessanten Vorschlag. Sie hatte mit dem Direktor des Radioteleskops im französischen Nancay gesprochen, der ihr 2 Stunden Teleskopzeit (in HI) für das neue Objekt zusagte! Ich war natürlich begeistert, denn damit würde man die wahre Natur des Objekts schnell herausbekommen.
Abb. 4 - Rote POSS II-Aufnahme des benachbarten Objekts „Weselowski 2", wahrscheinlich eine Hintergrundgalaxie mit einem schwachen Begleiter.
Man darf also gespannt sein, was die HI-Beobachtungen in Nancay bzw. die 2MASS-Daten bringen. Reneé und ihre Kollegen vermuten, daß es sich nicht um eine nahe Galaxie, sondern eher um eine stark elliptische Hintergrundgalaxie vom Typ E5 (?) handelt. Die Möglichkeit eines ungewöhnlichen galaktischen Nebels besteht aber nach wie vor auch. Die Gegend um Cepheus 1 enthält noch mehr Flecken, so hat Gido 5' westlich des ersten ein weiteres unbekanntes Objekt aufgespürt, das nach Reneé's Meinung eine entfernte Hintergrundgalaxie ist (Abb. 4). Auf jeden Fall bleibt die Sache spannend. Ist die Natur von Gido's „smudge" momentan noch offen, so ist doch eines klar: das Objekt ist unkatalogisiert und trägt somit zu recht den Namen seinen Entdeckers - Weselowski 1.
Tab. 1 - Daten für die Text genannten Objekte (m = photogr. Helligkeit, : = geschätzt; a, b = Ausdehnung in ´; PW = Positionswinkel in °).
Objekt | Stb | Rekt (2000) Dekl | m | a x b | PW | Typ |
Cepheus 1 | CEP | 20 51 10.6 +56 53 25 | 12.5 | 11.7 x 2.5 | 5 | dE |
Weselowski 1 | CEP | 20 51 39.8 +57 20 09 | 14.5: | 2.0 x 0.3 | 175 | E5? |
Arp's shred | AND | 02 23 18.3 +41 24 50 | 17.0: | 0.5 x 0.1 | 15 | S? |
Dwingeloo 1 | CAS | 02 56 51.9 +58 54 42 | 8.3 | 5.5 x 4.0 | 170 | SBcd |
Weselowski 2 | CEP | 20 51 04.3 +57 20 04 | 15.5: | 0.5 x 0.5 | S? |
Literatur
[1] A New Neigbour for the Milky Way, Sky & Telescope, November 1994, S. 11
[3] Norbert Stapper, Gido Weselowski, CCD-Astrofotografie unter „urbanen" Bedingungen, VdS-Journal 2/2000, S. 24
[5] Wolfgang Steinicke, Anonyme Galaxien in der NGC 999-Gruppe, Magellan 1/2000, S. 10
[6] Halton Arp, Peculiar Galaxies and Radio Sources, Astrophys. J. 148, 321 (1967)
[7] 2MASS
[8] Reneé Kraan-Korteweg, Ofer Lahav; Verborgene Galaxien, Spektrum der Wissenschaft, Januar 1999, S. 54