Der Planetarische Nebel Jones-Emberson 1
Wolfgang Steinicke
Wir schreiben das Jahr 1939. Richard Maury Emberson und seine junge Kollegin Rebecca Jones untersuchen am Harvard College Observatorium die regelmäßig aufgenommenen Photoplatten ("patrol plates") und finden dabei im Sternbild Luchs ein 5' großes, ringförmiges Objekt mit einer bipolaren Struktur, offenbar ein Planetarischer Nebel [1]. Zur Identifikation schauen sie in die gängigen Kataloge nichtstellarer Objekte und werden im NGC fündig. In der Gegend kommt nur ein Objekt in Frage: der Doppelnebel NGC 2474-75. William Herschel hat NGC 2474 am 17. März 1790 entdeckt, Lord Rosse steuerte NGC 2475 bei. Jones und Emberson halten diesen Doppelnebel für den PN. Ein Unterschied von 30' in Deklination wurde auf (hinlänglich bekannte) Ungenauigkeiten im NGC zurückgeführt. Soweit die (amerikanische) Entdeckung und Identifizierung. Unabhängig davon gab es aber auch eine russische Entdeckung durch Boris Alexandrowitsch Vorontsov-Velyaminov aus dem Jahre 1934: das Objekt VV 47.
Perek und Kohoutek haben 1967 den PN als PK 164+31.1 in ihren Katalog aufgenommen und als NGC 2474-75 bezeichnet. Erst 1977 bemerkten Barbieri und Sulentic [2], dass hier offenbar etwas nicht stimmt, denn es gibt ein enges Paar elliptischer Galaxien auf das die NGC-Beschreibung passt - an der korrekten historischen Position, 30' südlich des PN. Insbesondere erwähnt Herschel einen "nördlich folgenden Stern". PK 164+31.1 und NGC 2474-75 sind demnach verschiedene Objekte (Abb. 1)! Die Fehlidentifikation taucht mehrfach auf, so in Burnham's Celestial Handbook, dem Becvar Atlas, aber auch bei Walter Scott Houston. Scotty beschreibt den PN, den er NGC 2474 nennt, in seiner monatlichen Rubrik „Deep-Sky Wonders" in Sky & Telescope als 6' großes Objekt mit 13.5mag [3]. Er konnte ihn mit einem 20" Refraktor beobachten und erwähnt Ron Morales, der mit 10" erfolglos blieb, aber auch E. S. Barker, der NGC 2474 im 8,5 Zöller gesehen hat! Ron und Nancy Buta klärten diesen Irrtum umgehend auf [4]: Barker hat das Galaxienpaar beobachtet und - sehr seltsam - in Bd. 2 ("Planetary Nebulae") des Webb Society Deep-Sky Observers Handbook gezeichnet! Die korrekten Koordinaten stammen offenbar aus dem RNGC (1973), der das Paar beschreibt, aber auf den PK verweist! Auch das Paar selbst ist nicht makellos, wahrscheinlich müssen die Nummern vertauscht werden müssen und NGC 2474 ist die folgende, hellere Galaxie. Interessant ist auch, dass bereits 1954 Minkowski und Aller den PN erwähnen, weil er große Ähnlichkeit mit dem Eulennebel M 97 besitzt [5]; sie geben aber keine NGC-Identifikation.
Abb. 1 - Der Planetarische Nebel PK 164+31.1 und die 30' südlich stehende Doppelgalaxie NGC 2474-75 (DSS-Bild). |
Alle modernen Kataloge und Atlanten zeigen die korrekten Identifikationen. Eine Ausnahme findet sich ausgerechnet bei Karen Kwitter, die durch ihre Arbeit mit Richard Tweedy über "alte PN" bekannt ist. Auf ihrer Webseite gibt es eine wunderschöne Farbaufnahme (siehe Abb. 2) - betitelt mit "NGC 2474-5". Der PN wird heute mit JnEr 1 bzw. JE 1 bezeichnet und gelegentlich auch "headphone" (Kopfhörer) oder "earmuff" (Ohrenschützer) genannt. Der Deep Sky Field Guide gibt eine Helligkeit von V=12.1mag an, der Zentralstern besitzt V=16.8mag. Dies ist ein sehr heißer Stern mit über 100000K und möglicherweise ein pulsierender Weißer Zwerg von Typ „PG 1159" [6], benannt nach PG 1159-035, dem Zentralstern des Planetarischen Nebels K 1-16 in der Jungfrau. Die Entfernungsangaben schwanken je nach Methode, 2500 Lj. dürften aber realistisch sein. Bemerkenswert ist die hohe galaktische Breite von +31°, was typisch für große, alte PNs ist (hierzu gibt es ein Projekt der FG Deep-Sky). Eine weitere Besonderheit ist die Schwäche der Ha- und Hß-Emission. Dagegen strahlt der Nebel stark in [OIII] und noch stärker in [NII], wie in Abb. zu sehen ist. Über den Filtereinsatz liest man z.B. die Bemerkung "Hß kills". Ein [OIII]-Filter zeigt dagegen deutlich Strukturen. Der PN hat aufgrund seiner Größe eine sehr geringe Flächenhelligkeit. Steve Gottlieb konnte die beiden Kondensationen mit 17,5" und UHC-Filter bei 79x erkennen. Die Butas stellen aber die berechtigte Frage, warum der PN erst 1939 entdeckt wurde. Eine spektroskopische aber auch visuelle Beobachtung wäre durchaus früher möglich gewesen, enthält doch der NGC/IC einige vergleichbare Objekte. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass Jones und Emberson gleich voll auf den NGC gesetzt haben!
Abb. 2 - 3-Kanal-Farbfilteraufnahme von JnEr1. Rot = Ha, Grün = [NII], Blau = [OIII]. Man beachte den geringen Rotanteil, d.h. die geringe Ha-Emission. Der heiße Zentralstern ist nur sehr schwach zu sehen. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Karen Kwitter.
Abb. 3 - Zeichnung von NGC 2474-75 = KDG 56: Zwei elliptische Galaxien (V=13.3mag/13.1mag; d=0.4') neben einem hellen Stern V=9.3mag (W. Steinicke, 15.10.2001, 20", 312x). Vermutlich ist die hellere (östliche) Galaxie NGC 2474.
Daten
Bezeichnungen | PK 164+31.1, PN G164.8+31.1, JnER 1, ARO 121, VV 47, VV' 74, IRAS 07539+5333 |
Position (2000) | 07 57 52.6 +53 25 18 (Sternbild Luchs) |
Größe | 380" |
Helligkeit | V=12.1mag |
Zentralstern | V=16.8mag |
Entfernung | ca. 2500 Lj |
Literatur
[1] Jones R. B., Emberson, R., Harv. Bull. 911, 11 (1939)
[2] Barbieri, C., Sulentic, J. W., PASP 89, 261 (1977)
[3] Houston, W. S., Sky & Telescope, Feb. 1981, 172
[4] Buta, N. & R., Sky & Telescope, Apr. 1981, 368; siehe auch: Houston, W. S., O'Meara, S., Deep-Sky Wonders, Sky Publ. Corp. 1999, S. 83
[5] Minkowski, R., Aller, L. H., Astrophys. J. 120, 261 (1954)
[6] Liebert, J., et al., PASP 100, 187 (1988)
Beobachtung PK 164+31.1 (Wolfgang Steinicke, 15.10.2001):
Mit 20" f/5 und 96x waren ohne Filter bei nicht optimalem Seeing und Transparenz (fst 6.0) nur die beiden Kondensationen schwach wahrnehmbar.