Der deutsche Astronom Heinrich Ludwig d'Arrest war einer der bedeutendsten visuellen Beobachter des 19. Jahrhunderts (Abb. 1). Nach William und John Herschel war er der erste, der genaue Positionen in großem Stil bestimmte. Seine fast 5000 Beobachtungen von Nebeln des Nordhimmels sind eine herausragende wissenschaftliche Leistung. Mit relativ kleinen Teleskopen entdeckte er über 300 Objekte, die später von Johann Louis Emil Dreyer im „New General Catalogue" (NGC) aufgenommen wurden [1]. Doch seine Karriere begann im „Near-Sky".
Abb.1: Heinrich Ludwig d'Arrest (1822-1875)
Heinrich Ludwig d'Arrest wurde am 13. Juli 1822 in Berlin geboren. Die Vorfahren waren französische Hugenotten, sein zweiter Vorname wird daher oft auch als „Louis" angegeben. Er interessierte sich bereits in jungen Jahren für Astronomie, insbesondere für die visuelle Beobachtung. Nach bestandenem Abitur lag ein Astronomiestudium an der Berliner Universität nahe. Bereits mit 22 Jahren konnte er die Instrumente der Berliner Sternwarte, geleitet von Johann Franz Encke, nutzen. Hauptinstrument war der 9,6 Zoll Fraunhofer-Refraktor. Am 28. Dezember 1844 fand er einen Kometen, der leider bereits zwei Tage früher in Paris gesichtet worden war. IM folgenden Jahr wurde d'Arrest zum 2. Assistenten ernannt.
1846 kam die Berliner Sternwarte in die Schlagzeilen. Urbain Leverrier hatte die Position eines neuen, achten Planeten berechnet und fragte an, ob man danach (im Sternbild Steinbock) suchen könne. Es war d'Arrest, der auf die glorreiche Idee kam, hierzu ein gerade von Carl Bremiker fertiggestelltes Kartenblatt (Rekt. 21h bis 22h, Dekl. -15° bis +15°) der „Berliner Akademischen Sternkarten" zu nutzen. Er fand es in einer Schublade und der Hauptobservator Johann Gottfried Galle markierte die berechnete Position. Nach nur 30 Minuten Suche entdeckte Galle, assistiert von d'Arrest, am 23. September 1846 den Planeten Neptun im Fraunhofer-Refraktor. Mit einem Schlag war d'Arrest ein bekannter Mann. Die Londoner Times berichtete in einem Artikel von John Russell Hind am 1. Oktober 1846 über den Fund - England war alles andere als begeistert! Wurde doch bald klar, dass die Berechnungen von John Couch Adams vom Royal Astronomer, George Biddell Airy, offenbar ignoriert worden waren. Bereits am 2. Oktober konnte William Lassell (Liverpool) mit seinem 24" Reflektor den Planeten bestätigen und entdeckte kurz darauf den Neptunmond Triton. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der englische Nachruf auf d'Arrest [2] das Thema Neptun mit keinem Wort erwähnt.
Am 1. Mai 1848 wurde d'Arrest Observator an der Leipziger Universitäts-Sternwarte, damals noch am alten Standort auf der Pleißenburg. 1850 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät verliehen. Ein Jahr später heiratete er Auguste Emilie Möbius, die Tochter des Sternwarten-Direktors August Ferdinand Möbius (bekannt durch das „Möbius-Band"). Sie hatten zwei Kinder (Doris Sophie, Louis). Im Frühjahr 1852 ernannte man d'Arrest zum außerordentlichen Professor, offenbar um einen Weggang nach Washington zu verhindern.
Das Hauptinstrument der Sternwarte war seit 1830 ein 4,6" Fraunhofer-Refraktor mit f/16,8. Mit diesem Fernrohr entdeckte d'Arrest am 28. Juni 1851 den nach ihm benannten periodischen Kometen [3]. Er begann sich alsbald auch für Nebelbeobachtungen zu interessieren. Die Positionen der Herschel-Objekte waren seit ihrer Entdeckung nicht genauer bestimmt worden. Einen ersten Versuch unternahm 1853 Paul August Laugier, der 53 Objekte beobachtete [4]. Bereits ein Jahr früher startete d'Arrest sein Programm. Bis 1857 bestimmte er genaue Koordinaten für 230 Nebelflecken und Sternhaufen mit dem Ring-Mikrometer (bei 42facher Vergrößerung) und fand dabei einige neue Objekte [5]. Den Anfang machte NGC 6760, ein Kugelsternhaufen im Adler (April 1852). Später bemerkte er ([5], S. 299), dass dieser bereits 1845 von Hind entdeckt worden war. Seine ersten „eigenen" waren NGC 607 und NGC 7005, gefunden in der Nacht vom 23. August 1855. Leider handelt es sich nur um eine schwaches Sternpaar im Walfisch bzw. eine Sterngruppe, 40' östlich von M 73 im Wassermann. Bis 1857 blieb d'Arrest in Leipzig. Er förderte die Errichtung der neuen Sternwarte im Johannistal, die 1861 unter der Leitung von Carl Christian Bruhns eröffnet wurde.
Anfang 1857 wurde d'Arrest Professor für Astronomie an der Kopenhagener Universität und plante das neue Observatorium, das zwischen 1859 und 1861 auf dem Østervold errichtet wurde (Abb. 2). 1861 wurde er zum Direktor der Sternwarte ernannt. Hauptinstrument war ein 11" Merz-Refraktor mit f/17,5. Er nutzte das Teleskop von Anfang an für seine Beobachtungen von Nebeln mit dem Ring-Mikrometer (Vergrößerung 123fach). Innerhalb von fünfeinhalb Jahren (September 1861 bis April 1867) machte er 4800 Beobachtungen, mit präzisen Positionsmessungen und ausführlichen Beschreibungen von insgesamt 1942 Objekten, davon waren fast 350 neu.
1867 publizierte er seine Ergebnisse in dem monumentalen Werk „Siderum Nebulosorum" [6], das (zu dieser Zeit eigentlich nicht mehr üblich) in Lateinischer Sprache geschrieben ist. Interessant ist, dass d'Arrest die bereits 1861 veröffentlichten Beobachtungen von William Parsons (Lord Rosse) [7] erst 1864 zu Gesicht bekam, als seine eigenen Arbeiten schon weit fortgeschritten waren [8]. So wurden einige „neue" Objekte bereits früher von Lord Rosse mit dem 72-Zöller [9] gefunden. Auch hat d'Arrest die Publikation von John Herschels „General Catalogue" (G.C.) von 1864 [10], mit seinen 5063 Objekten, sicher beeindruckt [11]. Immerhin wurden 125 von d'Arrests Objekten im G.C. aufgenommen. Setzte Herschel auf „Masse", so besticht seine Arbeit durch „Klasse" (sprich: Genauigkeit)! Der „Siderum Nebulosorum" sollte aber erst im NGC von 1888 die volle Anerkennung finden. Dreyer würdigt im Vorwort die Arbeit von d'Arrest: "... mehr als den Anstrengungen aller anderen Beobachter, ist es diesem Werk zu verdanken, dass der neue Katalog [NGC] besser und genauer sein dürfte als Herschels [G.C.]". Im Februar 1875 erhielt d'Arrest dafür die Goldmedaille der „Royal Astronomical Society" [12], in die er bereits 1848 aufgenommen worden war. Eine wichtige Frage war, ob Nebel eine Eigenbewegung zeigen - immerhin lagen mehr als 30 Jahre zwischen seinen Positionen und den (weniger genauen) von John Herschel [13]. Nach einer Analyse der Messfehler zeigten sich aber keinerlei Anhaltspunkte für eine Bewegung.
Bevor wir uns eingehender mit diesem Werk befassen, hier noch weitere Stationen seines - leider nur kurzen - Lebens. Am 21.10.1862 entdeckte d'Arrest den Kleinplaneten (76) Freia. Während der Mars-Oppositionen 1862 und 1864 hielt er nach Marsmonden Ausschau, der Merz-Refraktor war aber für eine erfolgversprechende Suche zu klein [14]. Er veröffentliche fast 140 Artikel über Nebel, Kometen, Kleinplaneten und Himmelsmechanik. Zuletzt befasste er sich mit der neu entwickelten Spektroskopie. So bemerkte er 1872, dass Objekte mit Linienspektren (Gasnebel) zur Milchstraße hin konzentriert sind. Heinrich Ludwig d'Arrest starb am 14. Juni 1875 in Kopenhagen an einem Herzschlag im Alter von nur 53 Jahren.
Aufgrund der großen Zahl von Objekten ist es aufwändig, die genaue Zahl der Neuentdeckungen zu bestimmen. Nach Dreyer hat d'Arrest 342 Objekte gefunden. In vielen Fällen wird aber noch ein zweiter „Observer" genannt, häufig Lord Rosse oder Albert Marth [15]. Gerade mit Marth lieferte sich d'Arrest - ohne es zu wissen - ein „Fernduell": Kopenhagen gegen Malta! Während d'Arrest zwischen 1861 und 1867 mit dem 11" Refraktor beobachtete, nutzte Marth zwischen 1863 und 1865 den 48" Reflektor von William Lassell, um nach neuen Nebel zu suchen. Dreyer versuchte die Objekte beider Beobachter zu identifizieren und fand viele Übereinstimmungen. Bei der Frage, wem die Ehre der Erstbeobachtung gebührt, machte er aber Fehler. Nach der Analyse des Autors (Tab. 1) gehen 321 Entdeckungen auf das Konto von d'Arrest. Davon sind 286 „richtige" Deep-Sky-Objekte (Galaxien, Emissionsnebel, Sternhaufen) - eine erstaunlich hohe „Trefferquote" von fast 90%.
Tab. 1: Das Objekt-Konto von d'Arrest
Typ |
Anzahl |
NGC-Objekte |
Galaxien | 286 |
... |
Galaktische Nebel | 5 |
1973, 1975, 2064, 2183, 2313 |
Offene Sternhaufen | 2 |
133, 609 |
HII-Regionen in M33 | 3 |
588, 592, 595 |
Sterne, Sterngruppen | 30 |
... |
Nicht gefunden | 2 |
3167, 3927 |
Die Emissionsnebel NGC 1973 und NGC 1975 im Orion gehören zum Nebelkomplex um den Offenen Sternhaufen NGC 1977 (entdeckt von William Herschel). NGC 2064 ist ein Teil des Reflexionsnebels M 78 im Orion (auch als PK 2+2.1 katalogisiert!). NGC 2183 und NGC 2313 (PK 26-2.2) sind Emissionsnebel im Einhorn. Bei NGC 133 und NGC 609 handelt es sich um Offene Sternhaufen in der Cassiopeia, der erste weniger auffällig als der zweite. Die Objekte NGC 588, NGC 592 (beide vom 2.10.1861) und NGC 595 (1.10.1864) hat d'Arrest in der Nähe von M 33 gefunden, konnte aber keine „Verbindung" sehen. An den Positionen von NGC 3167 (LMi) und NGC 3927 (Leo) ist nichts zusehen - vielleicht ein Koordinatenfehler, was bei d'Arrest nur sehr selten vorkommt.
Bei 12 Objekten, die d'Arrest von Dreyer zugeschrieben werden, liegt eine Identität mit einem anderen, früher gefundenen NGC-Objekt vor. In zwei Fällen wurde das frühere Objekt von d'Arrest selbst entdeckt (in Tab. 1 berücksichtigt). Der erste Fall, NGC 4882 = NGC 4886, ist verständlich: Die Galaxie liegt mitten im Getümmel des Coma-Galaxienhaufens! Überhaupt kann d'Arrest als dessen Entdecker angesehen werden [8]: 25 Mitglieder gehen auf sein Konto, darunter die zweithellste Galaxie NGC 4874 (5.5.1864). Es ist verwunderlich, dass William Herschel zwar die hellste (NGC 4889) und 8 andere, schwächere Galaxien gesehen hat, nicht aber NGC 4874. Übrigens geht auch der Perseus-Galaxienhaufen auf das Konto von d'Arrest: hier fand er die sechs hellsten Objekte.
Der zweite Fall ist kurios: NGC 4078 = NGC 4107, eine S0-Galaxie (V = 13.2 mag) in der Jungfrau (Abb. 3, links). Dreyer gibt als Entdecker von NGC 4078 Marth und d'Arrest an und er übernahm Marth' Beschreibung („schwach, sehr klein, rund"). Die Reihenfolge ist aber so nicht korrekt: Marth hat sein Objekt (Nr. 231) am 26.3.1865 gefunden; d'Arrest entschied das Rennen aber mit seiner Beobachtung vom 23.3.1865 knapp für sich! NGC 4107 konnte er bereits zwei Jahre früher (17.4.1863) für sich alleine verbuchen. Er beschrieb das Objekt als „Planetarischen Nebel, ziemlich hell, klein, stark elongiert" und verweist auf einen Stern 10. bis 11. Größe 7' östlich. Wie d'Arrest, angesichts der Form, auf einen PN kommt, ist unklar. Durch die Arbeit des NGC/IC Projekts (www.ngcic.org) steht heute fest, dass er bei NGC 4107 einen Rektaszensionsfehler von 2 min gemacht hat. Interessant ist die Beobachtung von Sherbourne Wesley Burnham mit dem 36" Refraktor des Lick Observatoriums von 1891 [16]. Er notiert, NGC 4107 sei kein PN und der Stern stehe westlich. Hat er versehentlich den nahen, schwachen Stern gemeint? Seine Position ist korrekt. Royal Frost konnte das Objekt auf Platten, die 1903/04 mit dem 24" Bruce-Refraktor in Arequipa, Peru, aufgenommen wurden, nicht finden.
Abb. 3: Links: Die Galaxie NGC 4107 in der Jungfrau (DSS). Rechts: NGC 7477, eine Sterngruppe plus Galaxie in den Fischen (DSS).
Bemerkenswert ist der Fall von NGC 7477 in den Fischen (Abb. 3, rechts). An d'Arrests Position ist eine schwache Galaxie (V = 15.7 mag) und vier Sterne. Er beschreibt diese Konstellation, den Stern nördlich der Galaxie gibt er gar mit 17 mag an. Die Nacht (9.9.1866) hatte wohl eine ausgezeichnete Durchsicht, denn er notiert „coelo omnio nitidissimo", also „Himmel gänzlich glänzend". Nur so ist zu erklären, dass er die schwachen Objekte mit dem 11-Zöller wahrnehmen konnte. Interessant wäre, diese Beobachtung unter ähnlichen Bedingungen nachzuvollziehen! Burnham hat übrigens behauptet, dass NGC 7477 = NGC 7472 (O. Struve) = NGC 7482 (Marth) ist. Die letzte Identität ist korrekt, die erste dagegen nicht.
Die ersten Nebel-Beobachtungen von d'Arrest mit dem Merz-Refraktor datieren vom Ende September/Anfang Oktober 1861, publiziert von Arthur Auwers [17]. Am 30.9. fand er die Galaxie NGC 1 im Pegasus (V = 12,8 mag); der schwächere Begleiter NGC 2 (V = 14,2 mag) wurde erst 1877 von Lawrence Parsons entdeckt (Abb. 4). Das letzte neuentdeckte Objekt ist die Galaxie NGC 5072 in der Jungfrau. Zu den hellsten Galaxien zählt NGC 4064 (V = 10,7 mag) im Haar der Berenice. Eine der schwächsten ist, im gleichen Sternbild, NGC 4613 (V = 15,2 mag). Sie liegt in einer kompakten Dreiergruppe (Durchmesser 3') mit NGC 4614 und NGC 4615. Alle drei Objekte hat d'Arrest am 9. Mai 1864 entdeckt. Mit NGC 710, NGC 714 und NGC 717 fand d'Arrest weitere Mitglieder des Galaxienhaufens Abell 262 im Sternbild Andromeda.
Abb. 4: Die ersten Objekte des NGC: NGC 1 (d'Arrest) und NGC 2 (Lawrence Parsons); links der Doppelstern IC 1 (Guillaume Bigourdan) [18]. Zeichnung des Autors am C-14 der Schauinsland-Sternwarte.
Es ist unmöglich, hier auf die vielen Galaxien von d'Arrest einzugehen. Diese Beispiele mögen genügen, seine herausragende beobachterische Qualität zu demonstrieren - Neptun war wirklich nur zum „Aufwärmen"!
[1] Steinicke, W.: www.klima-luft.de/steinicke/ngcic/persons/d-arrest.htm
[2] Mon. Not. Roy. Astron. Soc. 36, 155 (1876)
[3] Lynn, W. T., Observatory 32, 211 (1909)
[4] Laugier. P. A., Comptes Rendus 37, 874 (1853)
[5] d'Arrest, H. L., Resultate aus Beobachtungen der Nebelflecke und Sternhaufen, Leipzig 1857
[6] d'Arrest, H. L., Siderum Nebulosorum Observationes Havnienses, Kopenhagen 1867
[7] Parsons, W., Phil. Trans. Roy. Soc. 151, 681 (1861)
[8] d'Arrest, H. L., Astron. Nachr. Nr. 1500 [AN 63, 177 (1865)]
[9] Steinicke, W., Besuch in Birr Castle, is 19, 58 (2001)
[10] Herschel, J., General Catalogue, Phil. Trans. Roy. Soc. 154, 1 (1864)
[11] d'Arrest, H. L., Astron. Nachr. Nr. 1537 [AN 65, 1 (1865)]
[12] Mon. Not. Roy. Astron. Soc. 35, 265 (1875)
[13] Herschel, J., Phil. Trans. Roy. Soc. 123, 359 (1833)
[14] Steinicke, W., Asaph Hall und die Entdeckung der Marsmonde, VdS-Journal 10, 87 (2003)
[15] Steinicke, W., Albert Marth, is 26, 51 (2003)
[16] Burnham, S. W., Publ. Lick Obs. 2, 159 (1894)
[17] Auwers, A., William Herschel's Verzeichnisse von Nebelflecken und Sternhaufen, Königsberg 1862
[18] Steinicke, W., Wie wär's mit der Nr. 1?, is 17, 39 (2001)